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Dave:

„Weißt du, wenn man jemanden liebt, dann ist es vielleicht einfach besser, ihn trotzdem oder gerade deswegen gehen zu lassen. Es bringt einem nichts, sich an ihn zu klammern, wenn er nichts tut, als dir Aua zu machen"

Ich schaue Amy traurig an.

Sie zieht eine Schnute und streicht tröstend über meine Wange. „Lele ist doof", meint sie dabei und umarmt mich noch.

Ich seufze. „Nein, Lele ist nicht doof. Er hatte einfach nie die Chance, ein richtiger Teenager zu sein. Er ist vom Kind zum Erwachsenen geworden. Das holt er jetzt eben nach"

Mit Amy kann man echt tiefsinnige Gespräche führen. Meistens schaut sie zwar nur wie ein Staubsauger, aber sie versteht mich trotzdem und meistens tröstet sie mich entweder oder sie lenkt mich ab.

Nachdem Alec von mir verlangt hat zu gehen, habe ich das gemacht, ohne mich noch groß von den anderen zu verabschieden. Ich habe einfach meine Sachen gepackt und bin gegangen.

Zuerst nach Hause. Aber als ich dann da alleine in dieser einsamen und für mich viel zu großen Wohnung saß, wurde mir bewusst, dass ich sie mir ausgesucht habe unter dem Gedanken, dass Alec hier auch irgendwann mal herumspazieren wird. Zusammen mit Amy und mir, als kleine Familie. Es ist lächerlich, das weiß ich jetzt auch.

Er hat sich so sehr verändert...

Jedenfalls bin ich dann zu Amy und Lydia.

Erstmal einen Tee mit Lydia zu trinken, hat mir ehrlich gesagt ziemlich geholfen. Mit ihr zu reden, tut gut und manchmal erinnert sie mich auch etwas an Alec von ihrer Art her, ihre Gedanken zu erklären.

Sie ist sehr sauer auf ihren Sohn. Vielleicht hätte ich ihr nicht alles erzählen sollen, aber - und ich weiß, wie lächerlich das jetzt wohl klingt - irgendwie ist sie meine beste Freundin geworden. Sie könnte eher meine große Schwester sein, immerhin ist sie ja nur 12 Jahre älter als ich.

Es wäre toll gewesen, mit ihr aufzuwachsen...

Nachdem wir geredet haben und sie mich soweit aufgemuntert hat, dass ich nicht zur nächst besten Flasche Wodka greifen wollte, hat sie mich zu Amy geschickt. Sie meinte, meine Tochter hätte mich vermisst und sie sei froh, dass ich jetzt da bin. Sie würde sich gerne etwas hinlegen, da es ihr nicht so gut ginge und sie Amy nicht unbeaufsichtigt lassen möchte.

Wo Isak ist? An Alecs Uni.

Alec müsste heute ebenfalls dort ankommen und wird sein blaues Wunder erleben, wenn sein Dad da ist. Ich denke auch, wenn er vor ihm steht, wird er es nicht mehr wagen, seinen Mund so weit aufzumachen und ihn sogar zu beleidigen.

Ich habe Alec noch nie so erlebt. Was aus ihm geworden ist, tut weh.

Ich liebe einen Menschen, den es gar nicht mehr zu geben scheint. Weil ich ihn zerstört habe. Und dafür hasse ich mich, jeden Tag.

Mein einziger Lichtblick und wahrscheinlich auch der einzige Grund, warum ich meine Drogensucht nicht durch Alkohol ersetze, ist Amy. Sie ermöglicht mir den weiteren Kontakt zu Lydia und außerdem ist sie mein kleines Mädchen. Ich liebe sie mehr als mein Leben. Daher werde ich dieses nicht riskieren.

Nachdem wir ein bisschen gekuschelt haben, machen wir Musik an ihrem Keyboard. Ich habe die Tasten, mit verschiedenen Farben gekennzeichnet und halte immer Zettel mit derselben Farbe hoch, wann sie sie drücken soll. Langsam aber sicher hat meine Mum mir damals so auch das Klavierspielen beigebracht. Irgendwann werden die Farben durch Noten abgelöst und man kann schon richtige Melodien spielen, man gewöhnt sich so ziemlich schnell an Noten, die man häufig benutzt und der Rest ist dann eigentlich nur noch Übung.

Amy hat ihren Spaß dabei, genauso wie ich.

Nach zwei Stunden beginnen wir dann Lego zu spielen, da wir gerade dabei sind, ein Prinzessinnenschloss zu bauen. Bisher hatte sie nie genug Steine dazu, aber ich habe ihr nochmal eine Kiste gekauft, sodass es jetzt reichen müsste.

Sie hat sich in den letzten Monaten fast schon rasant entwickelt. Man versteht sie beim Sprechen viel deutlicher und auch Lydia sagt, dass sie nun um einiges sicherer läuft. Nur weigert sie sich zurzeit immer, aufzuräumen, aber das werden wir auch noch hinbekommen. Lydia und sie waren auch schon in meiner neuen Wohnung, weil Lydia mir helfen wollte, das Kinderzimmer einzurichten und Amy darauf bestanden hat, sich ihre Einrichtung selbst auszusuchen. Sie weiß, dass sie bald zu mir ziehen wird.

Das Zimmer ist auch eigentlich schon fertig, ich brauche nur noch einen Rollladen und ich will ihr Leuchtsterne an die Decke und Wände kleben, ganz viele davon, sodass sie sich dann vorkommt wie in einem Sternenmeer, sobald es dunkel wird.

Ich streiche verträumt über das Tattoo an meiner Hand. Mein kleiner Stern.

Ich weiß, jetzt gerade gibt es keine Möglichkeit für Alec und mich zusammen zu sein, aber vielleicht findet er sich selbst ja irgendwann wieder und wir haben eine neue Chance. Mich würde das sehr glücklich machen. Bis dahin werde ich einfach weiter mein Tattoo bewundern und dabei an ihn denken, wissen, dass er immer ein Teil von wir sein wird.

„Dave" Lydias Stimme zieht meine Aufmerksamkeit auf sie.

Ich sehe zu ihr, mustere sie verwirrt.

Sie stützt sich an der Wand ab und läuft in kleinen Schritten zu mir, hält sich dabei den kugelrunden Bauch.

Schnell stehe ich auf, so schnell, dass ein Schmerz mein Knie durchzuckt, aber ich ignoriere es, eile zu Lydia und stütze sie.

„Was ist los?"

Sie klappt leicht zusammen, umklammert ihren Bauch, gibt Schmerzenslaute von sich.

„Ich glaub, das Baby kommt"

Okay, wow das kommt unerwartet. Und dazu ist es doch noch viel zu früh. Sie ist gerade am Ende des siebten Monats.

„Okay, okay, wir kriegen das hin, keine Panik", versichere ich ihr, nehme sie vorsichtig hoch und trage sie um Sofa. „Ich ziehe Amy schnell an, damit wir sie auf dem Weg zum Krankenhaus bei Leo abliefern können", teile ich Lydia mit.

Sie atmet gepresst, nickt.

Wenn es die Wehen wären, würden die Schmerzen doch irgendwann aufhören müssen oder? Fuck, ich habe keine Ahnung, ich habe noch nie ein Kind bekommen!

Ziemlich eilig ziehe ich Amy die Schule an, nehme ihren immer gepackten Rucksack, eine Jacke und ihren Stoffbären, ehe ich sie ins Auto setze und dann dasselbe bei Lydia mache, nur ohne den Stoffbären und den Rucksack.

Erst, als ich Lydia auf dem Beifahrersitz sehe und die Autoschlüssel in der Hand halte, wird mir bewusst, dass ich fahren muss.

Für einen Moment bin ich wie erstarrt, aber ich höre Lydias Schmerzenslaute und Amy, die sich langsam sehr große Sorgen macht, und weiß, meine Ängste sind gerade letzte, was zählt.

Also setze ich mich ins Auto, schließe die Tür schnalle mich an, stecke den Schlüssel ins Schloss und starte den Motor.

So weit bin ich schon mal gekommen, aber dann ist das passiert, was jetzt auch passiert. Bilder. Bilder durchfluten meinen Kopf, ich atme hektisch, aber fühle mich als würde ich ersticken.

Bevor die Panikattacke richtig losgehen kann, drückt Lydia meine Schulter fest. „Du kannst das, Dave. Ich glaube an dich"

Ich sehe zu ihr, er kenne die Schweißperlen auf ihrer Stirn, obwohl sie zittert, sehe ihren leidenden Gesichtsausdruck, obwohl sie versucht, mich aufmunternd anzulächeln.

Ich schaffe das. Für Lydia und alle anderen Mums dieser Welt.


Das Herz Der Dunkelheit (Manxman)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt