1. Kapitel

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Ohne Musik wäre mein Leben schlimm. Noch schlimmer als sowieso schon. Ich bewege mich langsam zu den Takten meines Lieblingsliedes und schließe verträumt die Augen. Dieses Gefühl das ich in mir fühle, wenn ich mein Lieblingslied höre, würde ich gerne immer spüren.

„Sydney! Stell dieses verdammte Gekreische leiser. Das hält ja kein Mensch aus!", schreit eine Person gegen die verschlossene Tür - höchstwahrscheinlich meine ältere Schwester - aber ich mache keine Anstalten die Musik leiser zu drehen.

Abgesehen von meinem Vater bin ich die einzige Person in meiner Familie, die sich für Rockmusik begeistert. Meine beiden größeren Geschwister und meine Mutter teilen diese Leidenschaft nicht.

„Sydney, stell es leiser und ich will heute auch nochmal in das verdammte Badezimmer", ruft die Person noch einmal laut. Wieder reagiere ich nicht. Wir haben alleine auf dieser Etage des Hauses drei Badezimmer, meine Schwester muss gar nicht so einen Aufstand machen.

An manchen Tagen wünsche ich mir, ich würde in einer normalen Familie leben. Wir würden in einem durchschnittlichen Reihenhaus wohnen. Meine Geschwister und ich hätten normale Teenagerprobleme und mehr nicht. Meine Mutter würde einen altmodischen Familienbus fahren, mein Vater irgendein teures Auto. Und er würde einen langweiligen Bürojob haben und sich abends beim gemeinsamen Abendessen über Aktienkurse oder etwas ähnlich banales beschweren.

Meine Mutter würde uns jeden Tag eine Box mit selbstgemachten Sandwisches für die Schule mitgeben und immer für meine Geschwister und mich kochen. Wir würden, wie eine perfekte Bilderbuchfamilie zusammen essen und uns über die Ereignisse des Tages austauschen.

Wir würden zusammen lachen – einfach eine normale Familie sein. Vielleicht würden wir uns einen Hund anschaffen, der einen bescheuerten Namen wie Bello oder so haben würde.

Aber nein ... so sieht mein Leben leider nicht aus. Aber so ist es eben. Ich wünsche mir zwar immer, das alles anders wäre, aber es ist eben wie es ist.

Ich stehe vom kalten Boden auf und ziehe meine Klamotten aus. Die Dusche wird mich hoffentlich wacher machen. Die laute Metal Musik dröhnt laut aus der Anlage und ich wippe erneut mit meinem Kopf zur Musik.

Das kalte Wasser tut gut. Die Musik ist ziemlich laut, aber angenehm in meinen Ohren und ich schließe die Augen. Der harte Wasserstrahl tut auf meiner Haut etwas weh, aber das macht mir nichts. Solange ich dadurch etwas fühle beschwere ich mich nicht.

Nach ein paar Minuten hat sich mein Körper an das kalte Wasser gewöhnt und deswegen stelle ich es ab. Ich gehe aus der Dusche, wickle mir ein Handtuch um und fange an meine Haare zu föhnen. Meine schulterlangen bronzefarbene Haare fallen langweilig nach unten.

Meine Haare sind fast trocken und ich ziehe mir meinen geliebten schwarzen großen Pullover an. Auf ihm ist ein Spruch gedruckt: She believed she could so she did. Aber mittlerweile ist er schon so oft gewaschen, dass dort steht: She b lieved he cou d so she id.

Fertig angezogen verlasse ich das Badezimmer und laufe in die Küche. Hoffentlich hat unsere Haushalterin noch etwas Essen hiergelassen, ich habe echt Hunger. Mit einem siegreichen Lächeln sehe ich den Auflauf im Ofen und schneide mir ein Stück ab.

Gerade als ich meine Kopfhörer aufsetzen möchte und mit der aufgewärmten Lasagne bewaffnet den Rückweg in mein Zimmer antreten will, höre ich Stimmen. Viele Stimmen. Viele männliche Stimmen. Fluchend sehe ich mich um, höchstwahrscheinlich ist das mein großer Bruder mit seinen Freunden und ich habe keinen Lust ihnen zu begegnen.

„Ey London, hast du noch ein paar heiße Mädchen eingeladen? Kommt vielleicht deine Schwester? Mein Gott, die ist so verdammt heiß", höre ich einen von ihnen grölen und flüchte kurzerhand in das angrenzende Wohnzimmer.
Mit der heißen Schwester ist natürlich meine große Schwester gemeint. Ich lehne mich an die Tür, ein Glück bin ich denen in diesem alten Pulli und Shorts nicht über den Weg gelaufen.

„Hör auf so einen Mist zu reden, Hunter", höre ich meinen großen Bruder sagen und ich verdrehe die Augen. Hunter? Was für ein beschissener Name.

„Ich bin ja schon leise, aber deine Schwester ist einfach heiß", höre ich den Idiot sagen und ich frage mich, wie lange die noch brauchen werde.

„Hunter", höre ich meinen Bruder genervt sagen und jetzt mischen sich noch mehr von seinen Freunden in die Diskussion ein.

„Schluss jetzt, meine Schwester ist für euch tabu. Und jetzt kommt, wir haben das Bier und können jetzt endlich aufs Dach." Das Dach unseres Hauses wurde zu einer riesigen Dachterrasse umgebaut und meine Geschwister nutzen die Fläche, um dort mit Freunden zu feiern.
Endlich entfernt sich die Gruppe und ich warte noch einen kurzen Moment, damit ich sicher sein kann, keinen der Typen über den Weg zu laufen.
Mit der mittlerweile nicht mehr so warmen Lasagne mache ich mich auf den Weg zurück in mein Zimmer und bin froh, weder meinen Geschwistern noch den komischen Freunden meines Bruder über den Weg gelaufen zu sein.

Remember me Where stories live. Discover now