14. Kapitel

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Sydney

Der Mut den ich in der Schule verspürt habe ist verschwunden, sobald ich in meinem Zimmer bin. Ich kann niemand etwas vormachen, ich bin so nicht. Am Liebsten hätte ich mich entschuldigt. Aber Nein, der Rest meines Stolzes zwingt mich dazu, nicht zu London zu laufen und ihm die Geschichte erzählen. Vielleicht ist es nicht Stolz sondern Angst. Davor, dass London, Nate fertig macht. Es wäre nicht das erste mal, dass London austickt und dann kann es schon passieren, dass das ganze nicht so schön endet.

Ich drehe meine Musik auf und versuche angestrengt nachzudenken, wie ich mich jetzt gegenüber Paris verhalten soll. Nach einer weiteren Stunde stehe ich schließlich auf und beschließe mich ein bisschen zu bewegen. Nicht zu viel, ich bin noch immer angeschlagen. Und zudem muss ich noch meine Tabletten aus dem Krankenhaus abholen, da mein Arzt ab heute für ein paar Tage verreist ist und mein sonstiger Vorrat langsam knapp wird.

Ich schreib London eine SMS und sage Bescheid, dass ich im Krankenhaus bin, um die Tabletten zu holen. Meine Mutter ist gerade unterwegs, da bald ein neues Filmprojekt anfängt, mein Vater ist in Deutschland, um ein Konzert zu geben und ich bezweifle, dass es Paris interessiert, wo genau ich bin.

Ich ziehe ein grauen Pullover mit weißen Muster an und eine schwarze Hotpans. Dazu Boots und eine Handtasche mit dem Rezept und den restlichen Tabletten.

Früher hatte ich immer Angst, an den Tabletten zu ersticken und meine Mutter musste immer lange auf mich einreden, bis ich sie genommen habe. Mittlerweile ist es schon Routine geworden.

Mein Handy klingelt.

„Hey kleine Sis. Soll ich dich zum Krankenhaus fahren?" Ich lächle, als ich seinen komischen Spitznamen höre.

„Hey London, nein danke. Ich muss mich ein bisschen bewegen. Der Arzt hat gesagt, ich darf mich ein bisschen bewegen", sage ich und packe schnell noch meine Kopfhörer ein.

„Ich würde mich wohler fühlen, wenn du wenigstens mit den Bus fährst. Oder soll ich einen Fahrer schicken? Sis du musst dich schonen", erinnert er mich und seine Stimme klingt besorgt.

„Ich weiß, ich weiß. Ich fahre mit dem Bus, dann kann ich wenigstens ein bisschen laufen, okay?", schlage ich kompromissbereit vor.

„Meinetwegen. Aber wenn irgendwas ist, dann ruf sofort an. Auch Dad oder Ma, mach nicht eine Heldentour und laufe den ganzen Weg, denn ich prophezeie dir, dass das nicht gut enden wird", sagt London und ich weiß, dass er Recht hat. Aber ich will nicht immer schwach, klein und beschützt werden. Ich bin 18 Jahre alt, ich kann auch schon alleine gehen!

„Ja, ich rufe an. Hab dich lieb, viel Spaß bei der Tour", sage ich und lege auf. Er hat heute ein harte Fahrradtour durch die Alpen. Eigentlich morgen, aber er bereitet sich schon seit Wochen auf heute vor und ich weiß, wie wichtig ihm das ist. Ich traue mich nie bei einen seiner Sportprojekten zuzusehen, weil ich die ganze Zeit Angst hätte, er könnte sich verletzten.

Langsam und mit einem dicken Pullover bewaffnet mach ich mich auf den Weg zum Krankenhaus. Anderer Teenager gehen in die Stadt oder in den Park, wenn sie raus wollen. Und ich gehe ins Krankenhaus ...

Der Weg ist nicht besonders lang und ich habe wie versprochen den Bus genommen. Im Bus beachtet mich niemand, ich gehe in der Menge unter. Mein Bruder oder meine Schwester würden jetzt angequatscht werden, Leute würden fragen, ob sie Fotos zusammen machen dürfen, aber ich bin unbekannt. Alle denken Sydney Ariola Padelewig würde in Italien auf einer abgelegen Villa leben und ein dekadentes Leben führen. Meine Eltern haben sogar eine Schauspielerin benatragt, die mich spielen soll. Die Presse kennt mein richtiges Gesicht nicht und alle die davon wissen, werden zu Geheimhaltung verdonnert. Wenn etwas an die Presse durchsickert, über meine Krankheit oder meine geringen Lebenschancen ... das würde fatal enden.

Ich bin beim Krankenhaus angekommen und laufe durch die sterilen weißen Gänge. Ich mag Krankenhäuser nicht, sie lösen in mir ein komisches Gefühl von endlos langen Tagen alleine in einem Zimmer aus. Einsamkeit, Trauer und eine unbestimmte Wut. Zusammengemischt zu einem Ball aus Emotionen, der mich zerfrisst.

„Wie kann ich Ihnen helfen?", fragt eine nette älter Dame. Ich nehme mein Rezept aus der Tasche und zeige es ihr. Meinen Namen laut in einem vollen Krankenhaus zu sagen, wäre ziemlich dumm.

„Verstehe", sagt sie und verschwindet.

Ich blicke mit einem traurigen Blick, auf die Menschen, die hier sitzen. Manche weinen, andere starren einfach nur in die Luft und andere lachen vor Verbitterung in Trauer. Jeder hat eine andere Art mit Trauer und Schmerz umzugehen.

„Sydney?", fragt mich eine Stimme, ich wirble herum. Vor mir steht Nate.

„Was machst du denn hier?", fragen wir gleichzeitig. Nate lächelt kurz, aber ich gucke ihn ausdruckslos an.

„Ich besuche jemand", sagt Nate und nickt leicht.

„Ich muss etwas abholen", sage ich ebenso wage. Damit ist für mich das Gespräch beendet, ich habe keine Luft mich mit ihm zu unterhalten. Ich drehe mich wieder zum Tresen um und hoffe, dass die Krankenschwester sich bald blicken lässt.

„Es tut mir Leid, was -"

„Du bist mir keine Entschulsigung schuldig. Wir sind nicht zusammen und du bist jetzt mit Paris zusammen, dass freut mich für dich", sage ich ruhig, drehe mich aber nicht zu ihm um.

„Das glaube ich dir nicht", sagt er und ich bilde mir ein, dass seine Stimme verletzt klingt. Er hat verdammt nochmal kein Recht verletzt zu sein!

„Und wieso?", frage ich und blicke ihn genervt an.

„Sydney, ich wünschte echt, dass die Situation anders wäre. Aber ... die Sache mit Paris ist kompliziert."

„Bestimmt ist es total kompliziert", murmle ich sarkastisch. Ich kaufe ihm das einfach nicht ab.

Er seufzt und rauft sich durch seine Haare. Dann blickt er mich mit seinen wunderschönen blauen Augen an und macht etwas, dass ich nicht erwartet hätte. Er wartet nicht, bis ich einwillige, nein er beugt sich nach vorne und legt seine himmlischen Lippen auf meine.

Und ich hasse mich dafür, dass ich es erwidert habe.

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