9. Kapitel

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Sydney

Ich weiß nicht was jetzt passieren wird. Und ich muss leider sagen, dass ich nervös bin. Nate ist immerhin ... Nate. Gutaussehend, beliebt und eigentlich für Außenseiter wie mich unerreichbar.

Grübelnd laufe ich durch die Gänge, im Unterricht versuche ich mich vergeblich zu konzentrieren, aber meine Gedanken wandern zu Nate. Immer und immer wieder.

Wieso eigentlich? Ich kenne ihn kaum, eigentlich gar nicht. Wie viele Gespräche haben wir eigentlich schon geführt? Wenige. Trotzdem bin ich nervös. Nach der 6. Stunde wartet Nate ganz wie ein Gentleman vor meinem Klassenzimmer. Woher wusste er wo ich Unterricht habe? Syd, du stellst zu viele Fragen, genieße einfach den Moment, ermahne ich mich selber. Gut, dann ist mein neues Motto einfach, den Moment zu genießen.

„Hey", sagt er leicht zögerlich. Er denkt ich würde gleich einen Rückzieher machen, aber ich wage heute etwas.

„Hey, gehen wir?", frage ich und versuche so charmant wie möglich zu lächeln. Um ehrlich zu sein, habe ich noch nie versucht charmant zu lächeln ...

„Alles okay mit dir? Du bist verändert ... so nett und offen", sagt er und blickt mich argwöhnisch an.

„Ich kann auch gerne wieder unfreundlich und still sein", murmle ich und starre auf den hellen Boden.

„Das wäre mir lieber", sagt er und lacht leicht. Nachdem ich nichts erwidere, lacht er laut los.

„Das war ein Scherz. Hey, Sydney, es hat mich nur gewundert, weil du sonst verschlossener bist", sagt er und stupst mich an. Klar, ein Witz. Dann war das aber der schlechteste Witz aller Zeiten.

„Hmm", murmle ich. Mein doofes Motte ist mir jetzt auch egal, was mache ich hier eigentlich? Wahrscheinlich will er mich nur verarschen oder ich bin sein neues Ziel. Lieber würde ich jetzt alleine sitzen und meine vertraute laute Musik hören. Denn ich habe Angst, Angst vor Neuem, dem Unbekannten. Und ich bin nun mal nicht nett und offen, ich bin eben verschlossen.

„Ach komm schon Sydney. Sei nicht eingeschnappt. Komm wir holen uns was und essen in der Bibliothek, dann starren uns nicht alle an", sagt er und legt seine Hand auf mein Schulterblatt, um mich weiter zuziehen. Ich zucke bei der Berührung leicht zurück, aber seine warme Hand fühlt sich gut an.

„Die starren dich an, nicht uns", korrigiere ich ihn leise. Ich blicke mit einem leichten Lächeln zu ihm auf. Er lächelt mich an.

„Was möchtest du Essen?", fragt er mich und zieht mich in die Mensa. Alle starren uns, genauer gesagt Nate an. Und sie verstecken ihre neugierige Blicke nicht einmal.

„Einen Salat?" Das klang eher wie eine Frage. „Einen Salat", sage ich deshalb noch einmal mit fester Stimme.

„Geht klar", sagt er und bestellt für mich. Er nimmt eine Pommes und einen Hamburger.

Mit unserem Essen verschwinden wir in die Bibliothek. Die Bibliothekarin ist eine strenge Frau, die immer einen hohen Dutt trägt und eigentlich kein Essen in der Bibliothek erlaubt. Aber wir schmuggeln unser Essen rein und ich muss ein Kichern unterdrücken, als sie uns anguckt, ihre Nase rümpft und ihre Augen zu engen Schlitzen verengt.

Wir nicken ihr nur zu und verkriechen uns in eine stille Ecke. Ich kichere leise und fange an meinen Salat zu essen.

„Die Frau hat echt Probleme", sagt Nate und ich nicke zustimmend. Wir unterhalten uns, über die Schule und andere unbefangene Themen. Und meine anfängliche Angespanntheit löst sich langsam, mit Nate kann man sich gut unterhalten.

Ich lache gerade laut über einen Witz, als plötzlich die Bibliothekarin vor uns steht, einen wütenden Blick auf die leeren Essensverpackungen wirft und dann tadelnd den Finger hebt.

„Ihr verschwindet hier sofort! Ihr hättet die Bücher voll sauen können und zudem ist die Lautstärke, mit der ihr euch unterhaltet, viel zu laut. Und hat nicht schon längst euer Unterricht begonnen?", motzt sie und scheucht uns aus der Bibliothek.

Lachend laufen wir durch die leeren Gänge, wir haben wirklich lange geredet, aber in diesem Moment ist mir der Unterricht ziemlich egal.

„Das war lustig", sagt Nate und lacht lauthals. Ich stimme mit ein, wann habe ich zuletzt so laut gelacht?

Plötzlich beugt Nate sich vor, seine Augen mustern mich durchdringend an. Was hat er bitte vor? Im letzten Moment, genau der Moment, bevor seine Lippen meine berühren drehe ich mich von ihm ab. Ich war ... in einer Art Starre, seine Augen haben mich in einen teuflischen Bann gezogen.

„Sydney ...", beginnt er, aber ich drehe mich um und laufe. Laufe vor ihm davon und vor dem schönen Gefühl, dass die Erwartung eines Kusses in mir ausgelöst hat.

Sobald ich Zuhause bin breche ich zusammen. Ich bin den ganzen Weg nach Hause gerannt. Ein Hustanfall folgt auf den nächste und ich lehne mich zitternd an die Wand. Tränen der Anstrengung laufen über meine Wangen und das Atmen fällt mir schwer.

„Sydney", höre ich eine Stimme. Mein Vater. Ich nicke, nicht fähig zu sprechen.

„Meine kleine Sydney, was ist passiert?", höre ich die besorgte Stimme meines Vater, aber im nächsten Augenblick ist alles schwarz.

Remember me Where stories live. Discover now