39. Kapitel

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Nate

Im Krankenhaus laufe ich unruhig hin und her. London hat die Augen geschlossen und sitzt auf einem dieser ungemütlichen Plastikstühle. Und ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Verzweifelt versuche ich, mir einen Reim auf die ganze Situation zu machen, aber irgendwie kann ich es einfach nicht.
„Seit ihr zusammen?"
Ich blicke hoch. „Was?"

„Du hast mich schon verstanden", knurrt London und sieht mich an. Zögerlich nicke ich. Er springt auf und packt mein T-Shirt. Er will etwas sagen, presst aber seine Lippen zusammen und murmelt etwas unverständliches.
„Wie lange schon?"

„London ..."

„Wie. Lange. Seit. Ihr. Schon. Zusammen?" Er sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an.
„Seit knapp vier Monaten", murmle ich und London schubst mich zurück. Ich kann es ihm nicht verübeln, immerhin ist die Situation für ihn auch nicht leicht.

„Und wann wolltest du mir das sagen? Verdammt, sie ist meine kleine Schwester und ...", er stoppt und lässt mich los. Er dreht sich weg.
„London, wir wollten es dir sagen, wirklich, aber ... aber es hat sich nie der richtige Moment ergeben", stammle ich und kann mich kaum auf dieses Gespräch konzentrieren. Meine Gedanken kreisten immer wieder um Sydney. Wird sie wieder gesund? Oh Gott...

London antwortet nicht und in diesem Moment geht die Tür zum Wartezimmer auf. Sydneys Eltern kommen auf uns zu und ich fahre mir nervös durch die Haare.

„Habt ihr schon irgendwas erfahren?", fragt ihr Vater mich und ich schüttle den Kopf.
„Nein, sie sind im OP mit ihr und ...", ich kann nicht weiter reden. Müde lass ich mich auf einen Stuhl sinken. Sydneys Mutter setzt sich neben mich.
„Nate, ich weiß das das alles schwer ist." Sie blickt mich kurz mitleidig an.

"Ich kriege diese ganze Situation nicht auf die Reihe ... was hat Sydney genau?" Ich spreche die Frage aus, die mir so verdammte Angst macht. Und dann fängt sie an zu erzählen.

„Als kleines Kind war Sydney schon immer anfällig für Krankheiten. Sie war sooft krank und hat immer über Bauchschmerzen geklagt. Irgendwann bekam sie Untergewicht und der Arzt hat dann Mukoviszidose diagnostiziert. Die ersten Jahre waren schwer, mit Medikamenten konnten wir die Krankheit eindämmen, aber Mukoviszidose ist unheilbar. Wir haben verschiedene Therapien versucht, aber ... aber oft hat es nicht viel gebracht.
Der Arzt hat uns als sie elf Jahre alt war eröffnet, dass sie geringe Lebenschancen hat. Viele Kinder, die an Mukoviszidose ... die krank sind sterben bevor sie 18 Jahre alt werden. Ständig hatten wir Angst, dass sie eine Erkältung oder ... einen Infekt bekommt und stirbt. Ständig hatte ich Angst, dass sie umkippt und ...", sie stoppt und eine Träne läuft ihr über die Wange. Mit zitternder Stimme redet sie weiter. „Es war schwer für uns als Eltern, da wir selten da waren. Oft versuchten wir, dass immer jemand bei ihr war. Entweder London oder Paris. Oder wir. Mit der Schule war es genauso schwer. Sie war oft Tagelang krank ...

Als sie fünfzehn Jahre alt war, hat sie begriffen, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Sydney hat ... sie ist durchgedreht. Hat sich einen komischen Freund gesucht. Nach ihrem sechzehnten Geburtstag hat sie angefangen sich wieder zu fangen und wurde immer stiller. Hatte kaum noch Freunde. Ihr wurde klar, dass sie in ein paar Jahren nicht mehr hier sein würde und hatte irgendwie den Mut aufgegeben zu kämpfen." Ihre Mutter streicht sich Tränen von den Wangen.
„Aber irgendwie hat sie sich in den letzten Monaten geändert, hat wieder mehr gelacht und wirkte einfach glücklich."

Ich merke gar nicht, dass ich meine Luft angehalten habe. Aber jetzt atme ich tief aus, doch der Druck auf meinem Brustkorb will nicht weichen. Die Geschichte klingt schlimm, schlimmer als ich es erwartet habe. Sie hat ... sie hat keine Zukunft. Sie könnte jeden Moment sterben. Mir wird schlecht.
„Was passiert jetzt?", flüstere ich und blicke Sydney Mutter an.
„Sie wird wahrscheinlich eine neue Lunge kriegen. Mehr weiß ich auch nicht. Die Wahrscheinlichkeit eine Spenderlunge zu bekommen war immer verdammt gering. Wir haben es nie in Betracht gezogen. Die Spenderliste ist lang ... aber jetzt.

Es bedeutet, dass Sydney vielleicht doch länger leben kann. Und ich weiß, dass sie angefangen hat zu kämpfen, wegen dir Nate."

Ich nicke, aber meine Gedanken rasen. Ich versuche die Situation, Sydneys Situation, zu begreifen, aber ich kann es nicht. Es ist einfach zu viel.
„Ich hole mir einen Kaffee", murmle ich und stehe auf. Ich bemerke nicht einmal, dass ich keine Schuhe anhabe und die Leute mich komisch mustern. Schweigend gehe ich an dem Kaffeestand vorbei und gehe durch die Eingangshalle, ich brauche dringend frische Luft. Vor dem Krankenhaus lasse ich mich an der Wand auf den Boden gleiten. Erschöpft vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen.
Ich habe das Gefühl ich durchlebe einen Albtraum. Ich würde gerne aufwachen, Sydneys hübsches Gesicht sehen und hören wie sie mir sagt, dass alles gut ist.

Aber nichts ist gut.

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