Das Falsche, Böse und Hässliche (3)

792 92 10
                                    

„Ich kann nicht tanzen, ich will nicht tanzen und ich werde nicht tanzen", sage ich und verschränke demonstrativ die Arme.

„Wow, komm mal runter." Mo grinst. „Keiner hat gesagt, dass du das tun sollst."

„Es ist ein verdammter Ball!"

„Naja", sagt er und wiegt unschlüssig den Kopf hin und her, wie als würde er ernsthaft überlegen. „Eigentlich ist es nicht wirklich ein Ball. Eher ein Fest. Du weißt schon: Langweilige Reden, Schaulaufen in teuren Kleidern, viel Essen...Es ist der einzige Tag an dem wirklich alle Wächter auf einmal in Fabelreich zusammenkommen. Jedes Jahr wird ein riesen Aufstand drum gemacht, ein Kollegium versucht das andere auszustechen."

„Na, da werden wir sicher große Chancen haben."

Mo wirft mir vom Sofa gegenüber ein Kissen ins Gesicht. Er sitzt an seinem Lieblingsplatz im Lesezimmer, direkt neben dem brennenden Kamin. Bei den Temperaturen jetzt im November beneide ich ihn ein wenig darum. Ich selbst habe einen dunkelgrünen Samtsessel als meinen Sitzplatz beansprucht, der vor allem dadurch attraktiv ist, weil er den größtmöglichen Abstand zu Eleanors kariertem Sessel auf der anderen Seite des Raumes hat. Seit ein paar Wochen reden wir zwar wieder miteinander, aber ich bin immer noch froh, wenn ich sie nicht allzu oft sehen muss.

Mein Blick wandert aus dem hohen Fenster nach draußen. Die Welt ist heute grau und farblos, mehr Bleistiftskizze als lebendiges Foto. Hin und wieder schwebt eine einsame Schneeflocke vorbei und landet auf dem Kieshof. Vor dem Haupttor hat sich inzwischen eine Menschentraube gebildet. In ihrem Zentrum steht Priora Demetra, umschwärmt von einer Gruppe junger Wächter ihres Kollegiums. Ihr Lachen dringt bis hinauf in unser Stockwerk.

„Warum macht das grüne Kollegium eigentlich ständig Ausflüge und wir nicht?", frage ich.

„Weil ich nichts mehr verabscheue, als gruppenbildende Gemeinschaftsspielchen", sagt eine Stimme hinter mir. „Wenn du auf emotionalen Exhibitionismus stehst, bist du leider im falschen Kollegium gelandet." Ich drehe den Kopf und sehe gerade noch, wie Eleanor die Tür zuknallt. Sie schält sich aus ihrem Wintermantel und pfeffert ihn in eine Ecke, bevor sie sich in ihren Sessel fallen lässt. Seufzend schließt sie die Augen. „Ich brauche Alkohol."

Ja. Das dann zu emotionalem Exhibitionismus...

„So schlimm?", fragt Mo und dreht sich in ihre Richtung.

„Ach." Sie macht eine wegwerfen Geste. „Drachen." Eleanor war seit dem Morgen auf einer Mission. Im spanischen Hochland haben Wächter einen frisch geschlüpften Drachen gesichtet. Keiner hat sich um den Auftrag gerissen. Die gefährlicheren Fabeltiere überlässt man immer gerne dem Kollegium der Schatten, so viel habe ich mittlerweile verstanden. Monster verstehen Monster eben am besten, hat Alumni Eric erst letzte Woche hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Obwohl ich Eleanor vor nicht allzu langer Zeit selbst so genannt habe, machen mich seine Worte immer noch wütend.

„Das Biest hat meinen Mantel versengt. Den neuen", knurrt Eleanor. 

„Apropos neu. Lina und ich haben gerade über den Winterball gesprochen", sagt Mo, ganz offensichtlich in dem Versuch, das Thema zu wechseln. „Klingelt das was?"

Eleanor wirkt nur noch genervter. „Du meinst die nächste Gelegenheit zum emotionalen Exhibitionismus? Wie könnte ich die vergessen."

„Wenn du dich nicht bald mal um unsere Garderobe kümmerst, wird es mehr als nur emotionaler Exhibitionismus..."

„Halt den Mund!"  Eleanor tut beleidigt, aber ich bemerke das Schmunzeln in ihrem Gesicht. Es ist interessant, die unterschiedlichen Dynamiken zwischen den beiden zu beobachten. Mo scheint immer instinktiv zu spüren, wenn Eleanor in einer ihrer dunkleren Stimmungen ist. Seine lockere Art harmoniert überraschend gut mit ihrer ernsten.

FabelblutWhere stories live. Discover now