Dem Schicksal zum Trotz

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„Nur fürs Protokoll", sagt Eleanor Murray und ja, es ist eindeutig ihre Stimme die durch die dunkle Kapelle hallt. „Ich denke nicht, dass Lina eine Enttäuschung für das Kolleg ist, Damon. Ganz im Gegenteil." Sie wirft mir einen schnellen Blick zu und ich sehe sie lächeln. „Ich bin sehr stolz auf sie."

Sie ist es. Sie ist es wirklich. Vom dunklen Haar über die buschigen Augenbrauen und die schlanke Gestalt. Eleanor. Am liebsten wäre ich auf sie zu gerannt und ihr um den Hals gefallen. Hätte ihr Gesicht berührt, ihre Schultern gerüttelt, um sicherzugehen, dass sie echt war. Kein Geist, sondern Fleisch und Blut. Ich kann mich gerade noch zurückhalten, bevor ich von meinen Fesseln zurückgehalten auf den Steinboden falle. Noch immer schnüren mich Damons Schattenbänder ein. So gefesselt kann ich nicht mehr tun, als zum Geschehen über mir aufschauen wie ein Zaungast.

Damon starrt Eleanor an.

Seine Augen wandern von ihr zu Margret, zu Nicolas, zu mir und dann wieder zurück, im Schock weit aufgerissen. Als Kind chronisch zerstrittener Eltern kenne diesen Blick nur zu gut. Den Wollt-ihr-mich-eigentlich-alle-verarschen-Blick.

Schließlich bleiben seine Augen auf Margret ruhen und verengen sich zu Schlitzen. „Du." Es ist keine Frage.

Margret reckt das Kinn, auf einmal gar nicht mehr so unscheinbar. „Hat du wirklich geglaubt, ich bringe meine Schwester um? Mein eigenes Fleisch und Blut? Für dich?"

Damon sieht aus, als hätte sie ihn geschlagen. „Aber...du..."

„Schwer zu fassen, nicht?", flüstert Margret und macht einen Schritt vor. „Bei Eleanor rechnet man mit Verrat, aber nicht bei mir. Die unscheinbare, blasse Maggie. Die Frau ohne eigene Persönlichkeit, die sich verehrt und bejubelt hat, die du schlagen und erniedrigen konntest, wie du es gerade brauchtest. Ich weiß, ich bin leicht zu unterschätzen. Keine große Kämpferin, keine die den Mund aufreißt und prahlt. Aber am Ende habe ich dich genau dadurch besiegt."

„Du hast mich mal geliebt." Offenbar fällt es Damon immer noch schwer die Neuigkeiten aufzunehmen.

„Ja. Das dachte ich auch."

„Was war es?" Damon schüttelt den Kopf. „Was war der Moment, an dem du beschlossen hast, mich zu verraten?"

„Es gab keinen einzigen Moment. Ich habe sechzehn Jahre mit dir zusammengelebt. Es gab genug Momente. Momente, in denen du mich herabgesetzt hast, damit dein eigenes Ego sich größer fühlt. In denen du andere gequält hast. In denen du mich belogen hast, über Mos Sicherheit und alles andere. In denen du du warst, ohne Maske. Aber wenn du es genau wissen willst: Mos Geburt." Margret senkt den Blick und ich weiß, dass sie für einen Moment nicht an Damon denkt. Dass sie ganz woanders ist, tief in ihrer Erinnerung. „Ich habe ihn im Arm gehalten. Seine winzige Hand um meinen Finger. Er war perfekt. Das Beste, was mir passiert ist, in all den Jahren. Ich habe geschrien, als sie ihn mir weggenommen haben. Weißt du, ich hätte ihn behalten können. In die Menschenwelt gehen, eine neue Existenz aufbauen, irgendwo. Ein Leben für ihn und mich. Eleanor und Demetra hätten mir geholfen. Aber ich habe dich geliebt. Ich konnte das mir nicht vorstellen, ein Leben ohne dich. Also bin ich im Gefängnis geblieben an deiner Seite. Ich habe mich für dich entscheiden,  gegen meinen Sohn. Und ich habe dich dafür gehasst. Dass du mich vor diese Wahl gestellt hast. Ich habe dich geliebt und gehasst und jede Erinnerung an Mo war Folter für mich, während du weitergemacht hast, als wäre nie etwas gewesen. Eine Geburt verändert einen. Du hättest es merken müssen, aber dein eigenes verletztes Ego war mal wieder wichtiger. Das war der Moment, in dem du mich verloren hast. Und jeden Tag danach ein Stückchen mehr." Sie schaut auf und ihr Blick begegnet Eleanors. „Nur so konnte ich mich selbst wiederfinden."

„Bitte?" Auch Damon funkelt jetzt Eleanor an. „Hast du vergessen, was sie dir angetan hat? Du wolltest Rache, die ganzen Jahre! Ich habe sie dir ausgeliefert in der Festung. Du wolltest sie doch bestrafen!"

„Ja. Bis es soweit war. Bis sie vor mir lag und ich endlich begriffen habe, dass mich nichts in der Welt dazu bringen kann, weiterzumachen."

„Ihr hasst euch! Ihr habt euch schon davor gehasst. Vor Mortimer, vor-"

„Du warst es." Eleanors Stimme ist ruhig aber kalt. „Du hast uns gegeneinander ausgespielt, Jahre lang. Hast uns in die Enge getrieben, vor unmögliche Entscheidungen gestellt, einen Wettbewerb angestachelt, den es nie hätte geben dürfen und den es vorher nie gab. Maße dir nicht an, uns zu kennen. Wir sind Schwestern, Damon. Unsere Erinnerungen reichen weiter zurück, vor Fabelreich, vor dich. Und sie werden ohne dich weitergehen."

Wieder schnaubt Damon, schüttelt den Kopf. „Ist das dein Dank?", fragt er Margret, „Ich habe alles für dich getan! Ich habe das alles arrangiert, habe Eleanor ins Gefängnis gebracht, nur damit zu deine Rache-"

Margret lacht. „Genug Lügen! Du hast sie entführt, weil du an das Tagebuch und ihr Blut kommen wolltest. Du hast sie gebraucht!"

„O, nein." Damon lächelt, aber seine Stimme ist dabei schneidend kalt. „Ich habe nie sie gebraucht. Das Blut einer Murray Schwester. Das hättest genauso du sein können, hast du wirklich nie darüber nachgedacht. Ich habe sie getötet, damit es dich nicht trifft. Du warst meine Frau. Jetzt allerdings..." Er grinst, aber es wirkt eher wie ein Zähneblecken „...der Mond steht noch am Himmel. Es ist nicht zu spät für das Ritual. Man sagt ein guter Schüler übertrifft irgendwann seinen Meister. Finden wir's heraus."

FabelblutWhere stories live. Discover now