Epilog (alternativ)

199 14 2
                                    

Manche Nächte sind heller als andere. Heller, weil sie haben, was andernorts fehlt. Das Lachen oder die geteilten Tränen von Freunden. Die Schwüre der Liebenden. Die Umarmungen und Sicherheit einer Familie.

Es ist so eine Nacht, als die vier Menschen plötzlich im Hyde Park auftauchen. Gerade noch haben sich hier nur die Eichhörnchen gegenseitig die Stämme der mächtigen Platanen hinauf und hinabgejagt, da treten sie wie aus dem Nichts auf den Kiesweg. Ein Mann und drei Frauen, alle in schwarz gewandt, als sei die Farbe ihre persönliche Uniform.

Die beiden erwachsenen Frauen halten sich an den Armen, die schwarzhaarige stützt die blasse Blonde, die nach Portalsprüngen immer noch ein wenig unsicher auf den Beinen ist, seit sie selbst keine eigene Magie mehr besitzt. Zwar hat sie in den letzten Wochen durch gutes Essen und noch bessere Gesellschaft wieder eine rosa Färbung auf den Wangen bekommen, aber hin und wieder taucht der Schatten der letzten Jahre noch auf, wenn auch nur in ihrem Kopf. Zum Glück ist ihre Schwester dann da, um sie abzulenken oder in den Arm zu nehmen, je nachdem, was gerade gebraucht wird. Mittlerweile ist sie deutlich besser darin geworden, das zu erspüren. Die beiden sehen sich an wie frisch Verliebte, ganz eingenommen voneinander, wie als könnten sie sich nicht sattsehen am anderen. Dabei sind sie weder das eine noch das andere, sondern Familie, die sich lange verloren und endlich wiedergefunden hat.

Das wirkliche Liebespaar geht ein paar Schritte vor ihnen. Der Junge mit dem rabenschwarzen Haar, drückt dem Mädchen einen Kuss auf die Wange und sie kichert, während sie mit hüpfendem orangenem Haar über die Regenpfützen springt, die der letzte Maischauer hinterlassen hat

Die vier halten sich in den Schatten, selbst als sie durch die vollen Straßen Londons gehen, verschmelzen mit den Massen, ohne dass irgendjemand Notiz von ihnen nimmt. Rechts und links von ihnen ploppen bunte Schirme wie Pilze auf. Es hat zu regnen begonnen, ein leichter Nieselregen, typisch für England.

Schließlich erreichen sie Covent Garden und damit das Unicorn. Die helle pinke Tür leuchtet ihnen durch den Nieselregen zu. Zu viert drängen sie sich auf der Schwelle. Dann tritt die Frau mit dem schwarzen Haar vor und klingelt.

Es dauert nicht lange, dann wird die Tür einen Spalt geöffnet, Mr. Murray erscheint auf der anderen Seite. „Wir haben geschlossen, wenn-" Seine Augen weiten sich. „Eleanor?"

Die Frau lächelt. „Hallo, Dad."

Mr. Murrays Augen wandern über ihre Begleiter. „Margret! Kind, du bist wieder im Land? Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Und Eleanor! Gott, ich dachte schon fast, ihr wärt gar nicht mehr am Leben, so selten habe ich euch zu Gesicht bekommen!" Es war als Scherz gemeint, aber die beiden Frauen tauschen vielsagende Blicke. „Da ist ja auch Mortimer! Hallo, Junge. Und du warst Lina, richtig? Wie schön, dich wieder zu sehen. Habt ihr euch alle getroffen, um mich zu überraschen? Ich hatte keine Ahnung."

„Lina hat uns gesagt, du würdest uns gerne alle mal wieder sehen", sagt die blonde Frau leise.

„Und ob! Mensch, Kinder! Die ganze Familie. Das ist die schönste Überraschung seit...seit immer. Kommt rein, schnell, schnell. Ich koche euch was. Mo geht an die Bar, hol meinen besten Whiskey raus, du weißt schon, und du Eleanor hilft deiner Schwester-" Mr. Murray verschwindet nach drinnen, Mo, Eleanor und Margret im Schlepptau.

Nur das Mädchen mit den roten Haaren steht jetzt noch auf der Schwelle. Sie wendet sich ein letztes Mal um, schaut in die weite, dunkle, regenverhangene Nacht, so ähnlich jener schicksalhaften Nacht in Edinburgh und doch so anders. Sie lächelt bei der Erinnerung, wendet sich um, der Tür zum Unicorn zu, wo ihre Familie auf sie wartet.

Und dann verschwindet sie, wie sie gekommen ist: ein Schatten unter Schatten.

FabelblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt