Heimspiel (2)

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„Gott, sind die niedlich", sagt Roxy, als wir wieder aufs Dach steigen. „Glaubst du man  kann einen von denen als privaten Bodyguard anstellen? Ich würde echt alles zahlen."

Nicolas schüttelt nur den Kopf. „Wer bist du, Lina und was hast du mit Eleos gemacht? So hat man den ja noch nie erlebt. Nicht seit ich lebe, jedenfalls."

„Och." Ich zucke mit den Schultern. „Ich hab ihm die Wahrheit gesagt. War wohl ne heilsame Erfahrung."

„Still jetzt!" Obwohl sich unsere Chancen durch die Zwergenarmee gesteigert haben, lässt sich Eric von der positiven Stimmung anstecken. Er steht an der Brüstung und sieht angestrengt auf den Wald hinunter. „Wo ist Damon?", flüstert er, zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Wo zur Hölle steckt er?"

„Vielleicht hat er Schiss gekriegt", vermutet Roxy, „Diese Zwerge haben ganz schon viele Muskeln an den Oberarmen."

Aber niemand hört mehr auf sie. Nicolas tritt neben Eric, die Hand auf die Zinnen gelegt und starrt nach unten in die Dunkelheit. Vereinzelt dringen Rufe zu uns hinauf, während die Zwerge in Formation gehen. Zusammen mit den Wächtern des grünen Kollegiums formen sie jetzt die erste Verteidigungslinie, die einzige auf dem Gelände vor dem Gebäude. Wenn Damon durch den Schutzschild dringen sollte, trifft sie es als erstes.

Am Boden unter uns sehe ich schatten durch den Fackelschein huschen. Überall um Stormglen Manor herum brennen Feuerkörbe und beleuchten die Szene. Sie sind eine Hilfe für uns Verteidiger, aber auch die Quelle aus der das Kollegium des Feuers, seine Energie zieht. Alles jenseits unserer Grenzen ist in Dunkelheit gehüllt.

Eine unnatürliche Stille hat sich über das Haus gelegt, als würden alle Kämpfer gleichzeitig den Atem anhalten. Selbst die Vögel sind verstummt. Es ist eine wachsame, wartende Stille. Die Stille eines lauernden Raubtieres, das im Verborgenen zum Sprung ausholt. In meinem Nacken stellen sich die Haare auf.

Langsam schiebt sich der Mond über die Baumspitzen des Geteilten Waldes, eine volle, runde Scheibe aus kaltem Silber. Ich sehe ihm zu wie er höher und höher steigt, während eine kalte Brise an meinem Umhang zieht, der ansonsten reglos ist. Jede Minute, die jetzt vergeht spielt uns in die Hände. Ich weiß es, trotzdem wünsche ich mir, Damon würde sich zeigen. Menschen können viel ertragen, aber nichts ist so zermürbend wie Ungewissheit.

Dann, endlich, tut sich etwas. Zuerst nehme ich es gar nicht wahr, so subtil ist die Bewegung. Ein Schatten wandert lautlos durch die Baumkronen. Erst als er auf uns zukommt, sich aufbäumt, wie eine Welle, reißt es auch den Rest aus seiner Starre.

Roxy und Faustia drehen sich schreiend weg, die Arme vor dem Gesicht, als der schwarze Tsunami mit voller Wucht gegen unser Schutzschild knallt. Schwarze Substanz fließt über die Glocke und tropft von den Seiten zu Boden, als hätte man eine Schneekugel mit Schleim übergossen, aber sonst passiert nichts. Der Schild hält.

„Das waren Schatten", flüstere ich.

Nicolas nickt. „Ein Test. Damon weiß jetzt, dass unsere Schilde noch wirken." Er schluckt. „Sie kommen."

Wie aufs Stichwort stoßen plötzlich Funken aus dem Wald. Als sie mit einem grellen Lichtblitz im Schild einschlagen und verglühen, erkenne ich, was sie sind. Magische Brandpfeile. Hunderte, Tausende prasseln jetzt auf uns herab und verwandeln den Nachthimmel in ein verfrühtes Silvesterfeuerwerk. Die meisten müssen von Feuerwächtern stammen, aber es sind auch andere dabei, angetrieben von Wasser oder Luft.

„Bleibt ruhig", mahnt uns Nicolas, während er selbst vor dem Geländer auf und ab geht. „Der Schild wird nicht ewig halten, aber lang genug, um uns zu sammeln. Wenn Damon durchdringt, rechnet er wahrscheinlich nicht mit viel Gegenwehr. Er erwartet ein unvorbereitetes, im Schlaf überraschtes Kolleg. Denkt immer daran. Das hier ist Heimspiel für uns."

Faustia nickt. „Ich gehe besser zu meinen Leuten. Was auch passiert, wir halten die Stellung." Rasch umarmt sie Faustia, bevor sie in Richtung Treppe verschwindet und sie die Dunkelheit verschluckt.

Nicolas fasst mich an der Schulter. „Wir sollten auch gehen. Unseren Platz vor der Kapelle einnehmen." Noch bevor ich antworten kann, schiebt sich Roxy zwischen uns, den Arm ausgestreckt und die Augen aufgerissen. „Schaut mal!"

Ich folge ihrem Zeigefinger, drehe mich um in die andere Richtung, dem Meer entgegen.

Und da sehe ich es auch.

Schiffe.

Eine kleine Flotte, mindestens zehn, schält sich aus der Dunkelheit, die schwarzen Segel verschmelzen fast mit dem Himmel hinter ihnen. Nur eine Reihe kleiner grüner Laternen an jedem Mast, gefangene Irrlichter, vermutlich, lassen Konturen erkennen.

„Eins muss man Damon lassen", knurrt Nicolas, „Timing kann er."

Mein Herz macht einen kleinen Sprung. Auf einem dieser Schiffe steht Mortimer. Ob er mich sieht, hier oben auf den Zinnen, beschienen vom Mondlicht.

Eine Weile stehen wir einfach da, Roxy, Eric, Nicolas und ich, mit Asteria in einiger Entfernung und schauen zu, wie die Schiffe langsam aber stetig näher kommen, während über unseren Köpfen glühende Pfeile mit dem Klang von frischem Popcorn an Topfdeckel gegen den Schild knallen.

„Sie sind jetzt nah genug", sagt Roxy schließlich, „Soll ich den Schützen den Befehl zum Schießen geben?"

Aber wieder komme ich nicht dazu, Antwort zu geben.

Vom Meer wehen Schreie zu uns herüber. Eines der Schiffe schwankt plötzlich, wie hin und her geworfen von einem starken Wind.

Ein Knall, ein Rauschen.

Dann sehe ich gerade noch wie eine gewaltige, schwarze Schattenflut über  Damons Flotte hinwegrollt und sie mit sich in den Abgrund reißt.

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