Das hier ist ein Anfang

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Nie hätte Reigen geglaubt, dass hier, am Ende der Welt, auch sie ihr Ende finden würde.

Das Boot ist näher gekommen. Wenige Meter vor der Küste schaukelt es auf den Wellen. Dahinter erhebt sich die dunkle Festung. Ihre spitzen Türme stechen bedrohlich in die Regenwolken, wie Zähne in das Fleisch eines Beutetiers. Es brennt kein Licht.

Sie richtet sich ein klein wenig auf. Sofort reißt der Wind wieder an ihren Haaren, auf den Klippen weht er noch Kräftiger als unten am Strand.

Du dummes Huhn! Das ist ein Fischkutter, irgendein verlassener Geisterkahn, im Sturmverlorengegangen. Nichts, wovor ein Fabelblut zittert!

Zum hundertsten Mal, seit dem Moment, da sie das Boot am Horizont ausgemacht hat, redet sie sich die Sätze ein, doch das beklemmende Gefühl will nicht weichen. Es ist ein Gefühl, wie sie es noch nie gespürt hat. Eine Art inneres Frösteln, eine ins Fleisch geschriebene Warnung, als wollte ihr Unterbewusstsein sagen: Verschwinde, solange du noch kannst.

Nur dieser Ort ist schuld, dass sie so denkt.

Mit einem dumpfen Laut läuft das Fischerboot auf Sand. Einzelne Wellen klatschen gegen das Holz, aber sie haben nicht die Kraft es noch weiter an den Strand zu schieben. Nichts rührt sich. Reigen zwingt sich ruhig und gleichmäßig weiter zu atmen. Von ihrem Platz auf den Klippen kann sie den Strand gut einsehen, nichts an dieser Küste entgeht ihrem Blick. An diesem Boot ist nichts Gefährliches. Erleichtert richtet sie sich zu voller Größe auf.

Da bemerkt sie es. Ein Licht, keine Fackel oder Kerze, ein dunstiges, grünes Licht ist in einem Fenster des Fischerboots erschienen. Reigens Hand schnellt zu ihrem Schwertgriff, doch noch bevor sie ihn erreicht, ist es bereits wieder erloschen. Ein Beben geht durch den alten Kutter. Sie hält die Luft an.

Dann, langsam, wie im Traum, gleitet ein Schatten aus der Kabine und kriecht über die Holzplanken. Lautlos, bis vor die Rehling, dicht gefolgt von einer Gestalt in einem schwarzen Kapuzenumhang. Als die Gestalt den Kopf hebt und Reigen sie erkennt, setzt ihr Herz einen Schlag aus.

Das kann nicht sein. Das darf nicht sein.

Reigen schreit, schlägt sich die Hände vor den Mund. Sofort reißt die Gestalt den Kopf herum und starrt zu ihr hoch. Das Schwert rutscht aus ihrer Hand, jeder Kampfgeist hat sie verlassen.

Flieh! Diesmal gehorcht sie der Stimme. Mit einem letzten klaren Gedanken nimmt sie Anlauf und stürzt sich von den Klippen.

Im Flug verwandelt sie sich. Hitze umfängt sie, ihre Beine schrumpfen, krümmen sich zu Klauen. Sie biegt den Körper durch und Flügel brechen aus ihrem Rücken. Wo Sekunden zuvor noch die flammendroten Haare einer jungen Frau waren, bedecken nun Federn ihre Haut, lila und purpurn, mit feinem Goldstaub bedeckt. Als sich ihr Feuerschweif gebildet hat, ist die Verwandlung abgeschlossen. Der Phönix breitet die Flügel aus und stößt funkensprühend in den Himmel. So schnell ihr Vogelkörper es zulässt, fliegt Reigen auf das Festland zu. Die Wächter müssen erfahren, was hier geschieht.

Sie kommt nicht weit. Aus dem Nichts trifft die etwas Hartes in den Rücken. Sie blickt nach hinten und sieht einen Speer aus kaltem, schwarzem Feuer.
Ein Schatten.

Die Wucht schleudert sie aus der Flugbahn. Ihre Flügel brechen. Der Schmerz ist schlimmer, als alles, was sie ja gespürt hat. Mit einer langgezogenen Wehklage sackt sie in sich zusammen und trudelt leblos zu Boden, wo sie in einer Stichflamme verglüht.

Noch bevor sie den Sand berührt, ist Reigen tot. Von ihrem Feuer ist nichts mehr übrig.

Nichts als Asche.



Der erste Akt der Geschichte ist zuende und ich möchte die Gelegenheit nutzen, um dich um eine Rückmeldung zu bitten.
Wie gefällt die die Geschichte bis jetzt? (vor allem im Hinblick auf Plot und Figuren. Den Stil überarbeite ich nochmal ausführlich)
Was kann ich noch verbessern?

Danke schonmal und viel Spaß beim weiterlesen! Jetzt geht es ja erst richtig los :)


FabelblutWhere stories live. Discover now