Ante Portas (3)

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Die erste Aprilwoche vergeht wie ein einziger Wimpernschlag. Schneller als mir lieb ist, bricht der Morgen des ersten Frühlingsvollmonds an. Beim Frühstück in der Küche bleibt mein Blick eine ganze Weile auf dem kleinen weißen Punkt im Kalender hängen, der den Mond symbolisiert. Irgendwie ist es immer noch nicht bei mir angekommen, dass es jetzt wirklich soweit ist. Es kommt mir unwirklich vor, hier beim Frühstück zwischen Mareike und meinem zeitungslesenden Dad zu sitzen, vor mir Cornflakes und bunt gehäkelte Eierwärmer, während ich in ein paar Stunden gegen einen schwarzen Magier antreten soll. Damon ist rein optisch jetzt zwar nicht ganz das, was ich mir immer unter schwarzer Magier vorgestellt habe, aber charakterlich wird's wohl nicht mehr schwärzer (Constanze mal ausgenommen).

Ich habe weder Mareike noch meinem Vater gesagt, was ich vorhabe. Zum Glück sind Osterferien, da wird die Ausrede für zwei Tage bei einer Freundin zu übernachten ne Weile ziehen.   

Ja, ich habe mit dem Gedanken gespielt, es ihnen zu sagen. Alles, von Fabelreich bis Damon. Aber, als mir klar wurde, was für ein Wahnsinn das wäre, habe ich den Gedanken schnell verworfen. Selbst, wenn sie mir glaubten, wenn ich ihnen Fabelreich vielleicht sogar zeigen würde...spätestens bei der heutigen Aktion würden sie mir mit Gewalt mein Portalbuch abnehmen und mich in mein Zimmer sperren. Vermutlich würde ich das Gleiche tun, wenn meine Tochter vorhätte, für irgendein verborgenes Zauberreich in eine Schlacht zu ziehen. Es ist nur verständlich, dass Eltern immer das Leben ihres Kindes schützen wollen.

Aber die beiden sind keine Wächter. Sie verstehen nicht, was für ein Segen und Fluch zugleich Magie sein kann. Sie wissen nicht, wie es ist, nach Jahren des nicht-wirklich- reinpassens und endlich einen Ort zu finden, wo man hingehört. Wo man verstanden wird und sich selbst verstehen lernt. Ein Ort voller Magie und Wunder, voller Gefahr und Chance und Abenteuer. Voller skurriler, schrulliger Charaktere, die vielleicht nicht die einfachsten oder freundlichsten Menschen in meinem Leben sind, dafür aber die interessantesten. Wenn du das alles erlebt hast, wenn du dein zuhause gefunden hast, dann läuft du nicht weg, sobald es jemand bedroht. Du stehst auf und kämpfst. Du hast gar keine andere Wahl, tief in dir drin. Wer einmal Magie und Freiheit in Kombination gekostet hat, vergisst es nie wieder.

Ich kann nicht einfach zurück in mein altes Leben, das ist mir in den letzten Wochen klar geworden. Mein Leben vor der Klassenfahrt nach Edinburgh. Vor meiner Fabelnacht. Auch nicht, wenn wir gegen Damon verlieren. Das letzte halbe Jahr hat etwas in mir verändert, selbst wenn ich wollte, ich bin nicht mehr die gleiche wie damals.

Was auch immer heute Nacht in Fabelreich passiert, sein Ergebnis wird Auswirkungen bis in die Menschenwelt haben, wie Wellen auf einem stillen See.

Natürlich gibt es auch noch die andere Möglichkeit. Die, über die ich nicht nachdenke, weil sie mich lähmt vor Angst oder das schlechte Gewissen gegenüber meinem Dad unerträglich macht. Ich könnte auch gar nicht zurückkommen. Ich könnte Sterben. Zwar glaube ich nicht wirklich, dass diese Schlacht mein Ende sein wird, nicht nach Asterias Prophezeiung, aber der Tod war in letzter Zeit ein zu häufiger Begleiter auf meinem Weg, um ihn nicht ernst zu nehmen. Doch selbst, wenn es die Möglichkeit gibt, sie hält mich nicht auf. Ich habe nicht vergessen, was Damon Eleanor angetan hat. Ihr, Demetra und irgendwie selbst Mo. Und auch wenn ich es mit all den Mediationen versucht habe, unter Kontrolle zu halten: neben dem Wunsch, Fabelreich zu retten, schlummert noch ein anderes, dunkleres Motiv für meinen Kampf gegen Damon Blackwell: Rache.

Gegen Nachmittag verabschiede ich mich von Dad und Mareike. Ich habe mein Zimmer aufgeräumt und mache ich wenig mehr Worte als sonst, aber ansonsten lasse ich mir nicht anmerken, dass etwas anders ist. Über eine mögliche Niederlage nachdenken, erlaube ich mir nicht mal in der Theorie nachzudenken.

In Stormglen Manor angekommen, brauche ich einen Moment, um mich zu sammeln. Hinter dem Herrenhaus steht die Sonne tief, gehüllt in den pollenverhangenen Dunst eines zu warmen Frühlingstages. Es ist schwül und ich bin froh, um die frische salzige Briese, die vom Meer heraufweht. Für einen Augenblick erlaube ich mir einfach stillzustehen. Ich schaue nicht zum Haus, das mittlerweile vor Menschen und Fabelwesen summt wie ein übergroßer Bienenstock, alle beschäftigt mit den letzten Vorbereitungen.

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