Magdalen College (1)

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Wir stehen in einem Innenhof. Ein Kreuzgang, ähnlich dem in Stormglen Manor, führt einmal rund herum. Dahinter erheben sich die Fassaden mehrerer Gebäude aus ockergelbem Stein. Zumindest eines davon sieht aus wie eine Kirche, leicht zu erkennen an den riesigen gotischen Fenstern. Gegenüber von uns ist ein Torhaus mit einem, zierlichen runden Türmchen und ein Stück weiter weg ragt ein viereckiger Glockenturm in den Himmel. Innenhof und Haus sind von Zinnen und steinernen Spitzen gekrönt wie eine mittelalterliche Burg.

Englische Gotik, vermutlich elisabethanisch, schätze ich. Auch der Rest der Gebäude wirkt ziemlich alt.

Was ist das hier? Ein Schloss? Ein Kloster?

Von den Büschen unter den gotischen Fensterrahmen sind nur noch ein paar dürre Stängel übrig und das Gras ist braun zermatscht, aber es braucht nicht viel Fantasie, um sich diesen Ort im Sommer vorzustellen: Blühende Hortensien entlang der Mauern, ein perfekter englischer Rasen.

„Mit Hogwarts liegst du gar nicht mal so falsch", sagt Mo, „Tatsächlich haben sie sich für die Filme hier einiges abgeschaut. In Kings wurden sogar manche Szenen gedreht."

Kings?"

„Das ist nicht weit weg." Ich verstehe nur Bahnhof und Mo scheint es mir anzusehen, denn er grinst schief. „Du warst noch nie hier, oder? Wir sind in der University of Oxford. Magdalen College, um genau zu sein. Tolkien und C.S Lewis haben hier gelehrt."

Er sagt Magdalen auf so eine komische Weise, es klingt eher wie Maudlin (Oxford's Studenten Slang, wie ich erst Jahre später erfahren werde).

„Moment. Das hier" Ich nicke mit dem Kopf um uns herum. „ist eine Uni?"

„Ein College der Uni, ja. Davon gibt es dutzende über die ganze Stadt verteilt."

„Für mich sieht's aus wie ein Kloster." Die Uni in meiner Stadt ist ein bröckelnder Siebzigerjahre-Bau aus Beton, mit riesigen, milchig-dreckigen Glasfassaden und vollgekritzelten Toilettenkabinen. Ich war erst einmal mit meiner Schule zu Besuch, aber das hat gereicht, um mir die Lust aufs Studieren gründlich zu vermiesen.

„Alle alten Colleges sind nach dem Vorbild mittelalterlicher Klöster gebaut", sagt Mo, „Studenten und Professoren leben und arbeiten unter einem Dach. Ein Ort der Gemeinschaft, aber nicht zum Beten, sondern zum Lernen. Die meisten Colleges folgen diesem Prinzip heute noch. In Oxford legt man viel Wert auf Tradition." Mo greift in seine Hosentasche und fischt ein weißes Plastikkärtchen mit seinem Passfoto heraus. „Gut, dass Demetra uns hier rausgelassen hat und nicht draußen auf der Straße." Er fuchtelt mit seinem Kärtchen in Richtung Torhaus. „Die Pförtner sind ziemlich streng, was Besuch angeht. Die tolerieren ja gerade so mich als Angehörigen und ohne Eleanor hätte ich wirklich keine Lust auf eine Diskussion. Also komm. Versuch möglichst intelligent auszusehen, als würdest du hier her gehören." Mo setzt sich in Bewegung und ich renne ihm hinterher, während meine Schuhe im matschigen Rasen einsinken.

„Dann kommt man hier nur rein, wenn man Student ist?", frage ich hastig. Soweit ich weiß steht unsere Uni zuhause jedem offen.

„Jep. Oder als Fellow des Colleges, also wenn du forscht oder Dozent bist. Es gibt die Tradition, dass unverheiratete Dozenten am College wohnen. Wieder so ein Ding aus dem Mittelalter. Manche machen es heute noch. Vor allem diejenigen, die-"

„-im Mittelalter stehen geblieben sind?" Ich kann nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf meine Lippen stiehlt. „Eleanor, zum Beispiel?"

Mo wirft mir einen kühlen Seitenblick zu. „Jeder Wächter, der dauerhaft in Fabelreich lebt, hat noch einen Wohnsitz in der Menschenwelt. Eleanor unterrichtet hier, also macht es Sinn."

FabelblutWhere stories live. Discover now