Lethe (2)

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Fast wäre ich ausgerutscht, so ruckartig zucke ich zusammen. Mein Fuß schlittert über den nassen Stein und Mo hält mich gerade noch fest.

Keine Passage ohne Passwort.

Die Worte lassen mein Trommelfell vibrieren. Panisch drehe ich den Kopf in alle Himmelrichtungen, aber ich sehe niemanden, der gesprochen haben könnte. Es muss ein Mann sein, dem Klang nach. Aber das kann nur bedeuten. Nein, was für ein Quatsch, wie soll das gehen? Oder?

„Mo?" Meine Stimme bebt. „Ich glaube, das ist die Tür."

Schlaues Kind.

„Eine sprechende Tür" Mo klingt eindeutig gelangweilt. „Wie originell. Gab's das nicht schon bei Frau Holle?"

Nicht so vorlaut, Fremder, sagt die Tür und in der sonoren Bassstimme schwingt ein beleidigter Unterton mit. Du magst von den Fluten des Lethe getrunken haben, aber ich vergesse dich nicht, kleines Fabelblut. Keine Passage ohne Passwort.

„Ja, ja, schon gut", sagt Mo. „Auch da war dein Herr ja mal wieder nicht besonders einfallsreich, stimmst? Lass mal sehen: Ich diene nicht?"

Klack.

Klack.

Klack.

Im Dominoeffekt klicken die Schlösser der eisernen Wirbelsäule, durch die beide Torflügel verbunden waren, auseinander. Die Türen schwingen zur Seite und offenbaren einen dunklen Eingang.

Mo atmet keuchend aus. „Danke!" Offenbar war er bei aller Schauspielerei doch nicht ganz so sicher, dass die beiden dilettantisch gemeißelten Worte das Passwort sind.

Schon lange hat sich keiner mehr bei mir bedankt. Diesmal ist Traurigkeit in der Stimme der Tür, vermischt mit Überraschung. Nicht, seit ich den Wahlspruch des Teufels trage. Einst war mein Passwort ein anderes, genau wie mein Zweck. Ich wachte über die Verbrecher unserer Welt, verhinderte, dass sie weiter Unheil und Verderben bringen konnten. Ohhh! Er hat mir beides genommen! Ohhh, Jammer, Jammer! Schande, Schande!

Ich hab ja mit viel gerechnet, als wir zu diesem Abenteuer aufbrachen. Aber nicht mit sprechenden Türen in einer Sinnkrise.

„Wir werden dir dein Passwort wiedergeben", versichert Mo und im Vorbeigehen tätschelt er der Tür dem Rahmen, „Versprochen."

Die Tür hört einen Augenblick auf zu heulen und wird ernst. Versuch es erst gar nicht. Lauf. Flieh. Du kannst ihn nicht besiegen, kleines Fabelblut. Dafür bräuchte es einen Helden.

„Einen Helden." Mos Miene ist so grimmig wie seine Worte. „Oder ein Monster."

Im Innern der Festung ist es dunkel, aber eine blassere Dunkelheit als draußen auf dem Meer. Fackeln erhellen die tunnelartigen Felswände, flackerndes Licht, zurückgeworfen durch Pfützen am Boden, wie von trüben Spiegeln. Der Bewegung der Flammen nach zu schließen, muss irgendwo weiter vorne eine Öffnung sein, die Luft in den Tunnel lässt.

„Also hatten wir Recht", sagt Mo in die Stille. „Das ist sein Gefängnis. Oder war es zumindest, bis Blackwell es in seine Lauer verwandelt hat." Eine Windböe aus dem schwarzen Loch vor uns lässt die Fackeln zucken und trägt den kalten Geruch nach Stein und Moder zu uns auf die Schwelle. „Ich mache dir keinen Vorwurf, wenn du jetzt umdrehen willst." Mos Worte formen eine weiße Wolke vor seinem Mund. Es ist eisig kalt hier drin, noch kälter als draußen. Aber ich glaube nicht, dass Kälte der Grund für das Zittern in seiner Stimme ist. Ein bisschen bin ich froh darüber. Wenigstens bin ich nicht die einzige, die Angst hat. „Du könntest am Boot warten."

Ja, das könnte ich. Ehrlich gesagt, ist es genau das, was ich jetzt will. Verstecken, wegrennen. Egal wohin, nur möglichst weit weg von diesem schwarzen Tunnel und seinem noch schwärzeren Herrn am Ende.

Ich schiebe meine Hand aus dem Ärmel meiner Winterjacke und taste nach Mo. Ein Schaudern läuft durch meinen Arm, als sich seine klammen Finger um meine schließen, aber ich drücke sie trotzdem. „Come hell or high water, Mo. Ich gehe nirgendwo hin."

Hand in Hand betreten wir die Hallen der Finsternis.

FabelblutOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz