In den Hallen von Eleos

520 59 13
                                    

Ich sitze am Schreibtisch, vor mir eine Steinguttasse mit aufgemalten Erdbeeren und beobachte, wie sich die Sonne über die Baumwipfel schiebt. Während ich daran nippe, vermischt sich der Duft von Pfirsichtee mit dem der Bienenwachskerzen. Wann immer ich hier sitze entzünde ich eine. Es ist fast schon ein Ritual. Ich will nicht, dass der Raum Demetra vergisst, ihren Geruch, ihren Stil. Ein paar Sachen habe ich aus unserem Kollegium übernommen, Eleanors Schachbrett und ihre Whiskeyflasche aus Kristallglas, aber ansonsten ist hier noch alles so, wie Demetra es verlassen hat.

Währenddessen brüte ich über Ideen für Eleanors Grabstein. Wenn Damon ihre Leiche hergibt, müssen wir sie beerdigen. Eric hat gestern vorsichtig den Gedanken an mich herangetragen, dass ich das übernehmen könnte. Schließlich habe ich sie von allen hier am besten gekannt, jetzt wo Mo fort ist. Allerdings ist die Aufgabe schwerer als gedacht. Ich würde gerne ein Zitat auf ihren Grabstein meißeln, irgendwas, das sie gut beschreibt. Und das ist nicht die einzige Schwierigkeit an der Sache.

Wie sich herausstellt, teilt sich bei den Wächtern selbst der Tod in Kollegien.

Wer in Fabelreich beerdigt wird, hat sich an Regeln zu halten. Die Mitglieder des Kollegiums der Erde, werden im Wald begraben. Das Kollegium des Feuers führt Feuerbestattungen durch. Wächter des blauen Kollegiums lassen ihre Asche im Meer verstreuen. Und die Schattenwächter finden ihre letzte Ruhestätte tief unten in den Säulenhallen der alten Krypta des Kollegs.

Der Gedanke, Eleanors Grab in einer dunklen Gruft besuchen zu müssen, jagt mir einen Schauder über den Rücken. Vielleicht ist das schon die erste Sache, von der ich als neue Priora abweichen muss.

Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Grübeleien.

„Lina?" Roxy schiebt den Kopf durch den Türspalt. „Sie ist da."

„Lass sie reinkommen."

Ich räume die Pläne beiseite und erhebe mich.

Als die Tür aufgeht, weht ein frischer Geruch nach Morgentau auf Waldboden in den Raum, vermischt sich mit dem Bienenwachs.

Wieder trägt Asteria Grün, diesmal einen zarten Ton, als sei sie die Vorbotin des Frühlings. Ein leichter goldener Schimmer liegt über ihren Wangenknochen und lässt ihre Augen leuchten wie junges Laub im Mai.

„Mylady." Ich neige den Kopf.

Ihr Blick wandert über meinen Umhang. „Ich sehe, du hast eine Entscheidung getroffen."

„Gut. Dann können wir über ein Bündnis reden."

„Nicht so schnell." Verwirrung flackert über Asterias Gesicht, ihre Augenbrauen kräuseln sich, als ich mich wieder setze und die Hände auf den Armlehnen ruhen lasse. „Ihr erwartet eine Beziehung auf Augenhöhe. Dazu gehört auch die Wahrheit", sage ich und auch wenn mein Herz klopft ist meine Stimme ruhig. „Ich habe nachgedacht. Eleanor und Damons Handel ist unlogisch. Wieso sollte Damon Eleanor ausschalten, wenn er im Gegenzug schwören muss, uns nicht anzugreifen?" Mein Blick huscht zu Eleanors Schachbrett auf dem Schreibtisch. „Wenn er uns nicht verletzten kann und sie ihn nicht, entsteht eine Pattsituation. Beide Seiten haben ihre mächtigste Waffe verloren. Also, was gewinnt Damon aus diesem Handel? Es muss noch mehr dahinter stecken. Er braucht Eleanor, stimmts? Aus irgendeinem Grund ist sie wichtig.

Sagt mir, Asteria: Woher wusstet ihr, dass Hekates Tagebuch existiert und für was man es verwenden kann? Niemand im Kolleg hatte dieses Wissen. Aber ihr habt danach gesucht. Und Blackwell, nachdem es ihm genommen wurde. Wie kam er überhaupt dazu? Fünfhundert Jahre lang war das Tagebuch verschwunden und dann fällt es ausgerechnet in Damon Blackwells Hände? Zufall? Nein. Ich glaube, in diesem Fall wurde dem Schicksal ein bisschen nachgeholfen. Und ich glaube, Ihr wisst darüber mehr als ihr zugebt. In diesem Fall will davon erfahren. Ich bin keine Schülerin mehr, die man mit ein paar Brocken Prophezeiung abspeist. Wenn wir ernsthaft Verbündete sein wollen, muss ich die ganze Wahrheit kennen"

FabelblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt