Der letzte Flug der Elfen

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„What the-" Roxy lehnt sich über die Zinnen und starrt mit aufgerissenen Augen auf die Szene. 

Strudel von Schatten, schwärzer als das Meer, wirbeln die Wasseroberfläche auf. Darüber türmen sich Wellen aus Dunkelheit, hüllen Damons Flotte ein, Schiff um Schiff. Es ist eine Explosion der Finsternis, wie die vernichtende Aschewolke eines Vulkans, inmitten der offenen See.

Schreie dringen zu uns, eine nach der anderen erlöschen die grünen Lampen. Die Schattenflut schwappt über die Schiffe, knickt Masten um wie Strohhalme, zerfetzt die Segel.

Nur ein Schattenwächter wäre zu einer Zerstörung dieses Ausmaßes fähig. Ein Schattenwächter, der die Kontrolle verloren hat.

Nein. Nein, das kann nicht sein. Das war nicht-

„Mortimer!" Ich habe seinen Namen geschrien ohne überhaupt darüber nachzudenken. Natürlich ist es sinnlos, er könnte mich nicht hören, selbst bei ruhiger See.

„Es tut mir leid, Lina" Roxys Hand legt sich auf meine Schultern.

„Nein!" Ich schüttelte sie ab. Der mitleidige Ton in ihrer Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken. „Wir müssen ihm helfen! Wenn er nicht aufhört, brennt er sich aus." Ich habe Eleanors Zustand nach dem Rebellenangriff nicht vergessen. Mo ist nicht mal halb so stark wie sie. „Er stirbt, er ertrinkt, er-"

„Lina." Nicolas tritt einen Schritt auf mich zu, „Ich weiß, das ist jetzt hart. Aber Mortimer hat gerade versucht uns anzugreifen. Er war Damons Mann. Ein Feind."

„Nein, war er nicht! Er war unser Mann! Meiner, verstehst du?"

Verwirrung flackert über Nicolas' Miene. „Was willst du damit sagen?"

Meine Knie werden weich. Ich muss mich an die Brüstung lehnen, um nicht zu Boden zu gehen. „In der Nacht nach Eleanors Tod, als ihr alle so schockiert davon wart, dass ich Priora werden sollte..." Ich schlucke, als die Erinnerungen auf mich einstürmen, wie zu lange vergessene Gespenster. „Mo und ich haben geredet. Er war wütend auf Eleanor, Wütend, weil sie mich zur Priora gemacht hat und nicht ihn. Aber er hat es akzeptiert. Er wollte mich unterstützen, trotz allem. Ihr habt keine Ahnung, wie wichtig ihm Eleanor und das Kolleg sind. Mo hat sich Vorwürfe gemacht, wegen ihrem Streit." Die Worte sprudeln nur so aus mir heraus, ungeordnet und hastig. „Damals wussten wir ja noch nicht sicher, ob sie tot oder verbannt ist. Er musste es rausfinden. Also haben wir einen Plan gemacht. Ich bleibe als Priorin in Stormglen und er schleust sich als Spion bei Damon ein."

„Was!?" Nicolas reißt die Augen auf. „Habt ihr zwei den Verstand verloren?"

„Er hat getrauert! Mo musste wissen, ob Eleanor lebte oder nicht. Es hätte ihm keine Ruhe gelassen. Und er brauchte was zu tun, kannst du das nicht verstehen? Damon hat seine Tante ermordet. Er wollte ihn treffen, verwunden Du kennst Mo doch. Je gefährlich, desto besser."

Es war dieser Gedanke, der dafür gesorgt hat, dass ich die letzten Monate überlebe. Dass ich als Priora funktionieren konnte, trotz allem. Die Gewissheit, dass ich da draußen noch jemanden habe, dem ich vertrauen und auf den ich zählen kann. Mein Ass im Ärmel.

„Warum habt ihr nichts gesagt?"

„Weil wir nicht noch einen Verrat im Kolleg riskieren konnten. Keine Nachrichten, keine Mitwisser. Ich habe mitgespielt. Die verratene Priora. Wir dachten, wenn Damon ihm erst mal vertraut, dann kann er ihn von innen heraus sabotieren. Eleanor hat es in der Festung selbst gesagt: Der gefährlichste Feind sitzt immer im eigenen Haus."

Nicolas schüttelt den Kopf. „Ist dir klar, in was für eine Gefahr er sich gebracht hat? Wenn Damon Verdacht geschöpft hätte-"

„Hat er aber nicht." Roxys Stimme klingt belustigt. „Und Mo hat sein Ziel doch erreicht. Er hat seinem Daddy gerade seine besten Schiffe unter dem Arsch weggeblasen."

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