Wo Schatten, da auch Licht (4)

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Demetra sieht zu, wie Lina den Raum verlässt. Erst dann lässt sie sich in ihren Stuhl sinken und atmet aus. Die Dinge sind anders, als sie angenommen hat. Wenn das Mädchen jetzt schon Gegenstände zerschmettert, dann ist sie Mo weit überlegen.

„Reigen."

Es raschelt in einem der Feigenbäume und mit leisem Flügelschlagen landet ein Phönix vor ihr auf dem Tisch. Er verwandelt sich nicht, wartet still auf die Anweisung.

„Mach deine Runde über den Wald, die Siedlung, die Festung. Es ist zu lange her, dass ich selbst dort war. Ich will wissen, was geredet wird. In Anbetracht der jüngsten Entwicklungen..." Der Phönix neigt den Kopf, zum Zeichen, dass er verstanden hat. Dann spannt er seine rotgoldenen Flügel und segelt mit ein paar Schlägen über den Wald davon.

Demetra beobachtet ihn, bis er nur noch als kleiner Punkt am Horizont schwebt. „Es ist etwas in Bewegung", murmelt sie zu sich.

Die Magie wählt Schattenwächter nicht zu beliebigen Zeiten, so der alte Aberglaube. Immer sind sie Vorboten des Schicksals. Demetra hat das immer für Geschwätz abgetan. Bis jetzt.

Die Saat, die im Schatten aufgeht, bringt leuchtende Frucht. Ein Licht, das die Gefangenen befreit, die Zerstreuten zusammenführt und die Völker erlöst. Es ist Jahrzehnte her, dass sie die Worte gehört hat. Jahrzehnte, seit der letzte Schattenwächter erwählt wurde. Noch immer jagen sie ihr einen Schauer über den Rücken.

In einer raschen Bewegung spreizt sie die rechte Hand. Eine ungewohnte Geste nach so langer Zeit.

Ein einziger blasser Schatten schlängelt sich um ihre schlanken Finger, schwacher Abklatsch einer viel größeren Macht.

Sie lässt ihn gehen, schaut ihm nach, wie er zwischen den Bäumen verschwindet und weiß, dass sie den Sturm, wenn er denn kommt, nicht aufhalten kann.

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