Nänie für den Frühling (3)

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Als ich am nächsten Tag ins Kolleg komme, ist die Welt eine andere. Schwarz war eigentlich immer die Farbe der Schatten, aber jetzt begegnet sie mir überall. Jeans und bunte Pullover sind verschwunden, hastig ersetzt durch zerknitterte Kleider und ungebügelte Hemden, die aussehen, als seien sie aus irgendeiner vergessenen Schrankschubladen gekramt worden. Niemand scheint so wirklich zu wissen, was zu tun ist. Eine ermordete Priorin sprengt jedes Protokoll und die einzige Antwort darauf ist lähmende Stille. 

Unter meinen Füßen raschelt welkes Laub, während ich die Eingangshalle durchquere. Der Baum in der Mitte hat über Nacht seine Blätter abgeworfen. Ohne das Grün und die Dekorationen des Winterballs wirkt die Räume nackt. Im Refektorium hängt ein einsamer Schal aus schwarzer Seide über Demetras Stuhl am hohen Tisch. Auf den Bänken davor kauert das halbe grüne Kollegium, noch immer im Schock.

Selbst der Himmel trägt Trauer, als ich das Haus in Richtung Gewächshäuser verlasse, jagen schwarz graue Regenwolken über den Horizont und bringen neuen Regen. Vom Strand weht Gesang zu mir herauf, langgezogene Wehklagen, schaurig und schön zugleich. Es sind Nänien, Totengesänge der Sirenen, über einen verlorenen Frühling und einen sternlosen Winter.

Klagelieder für Demetra, die lebende Tote.

Vor dem Eingang zu den Gewächshäusern wartet schon Faustia. Zum ersten Mal, seit ich sie kenne, trägt sie schwarz, die unnatürlichste Farbe für jeden Gärtner und auf einmal bin ich froh um meinen Schattenumhang.

Ich nicke ihr zu und spähe durch das Glas ins Gewächshaus. „Wie lange ist sie schon da drin?"

„Die ganze Nacht." Faustia seufzt. „Keine Ahnung woher sie die Energie nimmt, so viel Milkweed wie sie im Blut hat. Wir haben ihr gesagt, sie soll sich ausruhen. Sinnlos."

„Danke", sage ich und lege ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich übernehme das. Geh zu den anderen. Wenn ich eine Ablösung brauche, hole ich euch."

Ich warte bis Faustia außer Sichtweite ist, dann öffne ich die Tür zum Gewächshaus. Seit gestern hat sich wenig verändert. Mo ist fort und Demetra liegt immer noch reglos auf diesem Stein, grau in grau, wie eine Statue. Eine Königin der Altvorderenzeit, aufgebahrt zum Begräbnis.

Nur eins ist anders. Eleanor sitzt an ihrer Seite, Demetras Hand fest in ihrer. Sie weint nicht, aber ihre Augen verraten, dass sie es getan hat.

Leise schiebe ich einen Stuhl an ihre Seite und setze mich: „Das grüne Kollegium wartet darauf, dich abzulösen."

„Ich brauche keine-"

„Willst du sie umbringen?" Es überrascht mich selbst, wie forsch ich klinge. So spricht man eigentlich nicht mit Trauernden. Vielleicht färbt Eleanor schon auf mich ab? Wird man so, wenn man diesen Umhang zu lange trägt? „Deine Magie liegt am Boden. Und du auch bald, wenn du so weiter machst. Was du hier tust, nützt niemandem, Demetra am wenigsten. Die Alumni treffen sich in einer halben Stunde. Wenn du wirklich helfen willst, geh hin."

Eleanor presst die Lippen zusammen. „Es interessiert mich nicht, wen sie wählen."

„Sollte es aber. Das entscheidet nämlich, ob Demetra lebt oder stirbt."

Meine letzten Worten gewinnen für einen Moment ihre Aufmerksamkeit. Kurz wirkt sie wie aufgeschreckt, ihre Hand umklammert Demetras fester. Dann: „Eric hat mir von dem Gift erzählt."

O, natürlich hat er das. Dieser-

„Das ist doch nicht deine Schuld", beginne ich, „du hast nicht wissen können, dass der Dolch vergiftet war." Ich versuche, sie anzusehen, aber sie weicht mir immer noch aus. „Eleanor. Mir ist klar, dir gehts scheiße. Und ich werde nichts sagen, das dich tröstet, weil ich weiß, es gibt nichts. Bitte. Heule, schlag mich, schrei. Aber lass dich jetzt nicht hängen. Das hier ist dein Zuhause. Erzähl mir nicht, es ist dir egal, was gerade passiert. Was wenn Eric Prior wird? Wenn Mo nicht zurückkommt?"

FabelblutWhere stories live. Discover now