Dolch, Eule, Mond

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Natürlich war es Montag, als alles anfing, so richtig den Bach runter zu gehen.

Wir sitzen beim Frühstück, meine Familie, Mo und ich. Zum Leidwesen aller hat die Schule wieder begonnen und so herrscht das übliche ich-muss-frühstücken-und-gleichzeitig-den-Bus-noch-kriegen Chaos. Mein Vater hat sich die Krawatte halb um den Hals gebunden, während er mit einer Hand Kaffee schlürft, mit der anderen seine Mails checkt und Mo über den Tisch ein paar Brocken Englisch zuwirft. Mo steigt mühelos in die Konversation ein, wie immer die Ruhe selbst. Logisch, der muss ja auch keine sechs Stunden Unterricht überleben. Ich frage mich, wie lange sein selbstgewähltes Exil wohl noch andauern soll. Er wird nicht ewig hier wohnen können, irgendwann ist selbst die Geduld von Mareike und meinem Vater erschöpft. Heute. Nach der Schule werde ich ihn drauf ansprechen.

Als ich aufstehe und mir meinen Rucksack überwerfe, hebt er die Hand zum Abschied.

Mareike starrt uns an. „Kommst du nicht mit in die Schule?"

„Ähm" Mo wirft mir einen unsicheren Blick zu. Eigentlich hatten wir ausgemacht, dass er in meinem Zimmer warten soll, bis ich wiederkomme. „Ich glaube nicht?"

„Aber du bist doch ein Austauschschüler? Ich weiß von der französischen Partnerschule, dass die immer mit ihren Gastgeschwistern in den Unterricht gehen."

Zum Glück schaltet Mos Hirn mal wieder schneller als meins. „Ach richtig", sagt er jetzt und es wirkt nicht mal soschlecht geschauspielert, „Gut, dass Sie das sagen. Ich hatte irgendwie das Datum falsch im Kopf."

Ziemlich dürftige Ausrede aber naja.

***

„Dir ist klar, dass sie uns die Sache mit dem Austauschschüler nicht mehr lange abkaufen?" Ich öffne die Feuertür zum Treppenhaus und sofort schlägt uns der Lärm entgegen. Übermotivierte Fünftklässler mit Bewegungsdrang, frühpubertäre Sechstklässler und dazwischen immer wieder ein genervter Abiturient, der sich mit unter dem Arm geklemmtem LEIZ-Ordner einen Weg durch die Menge bahnt. Ganz normaler Montagmorgen im Gymnasium eben.

„Ich seh's ja ein", murmelt Mo, während er den nach uns kommenden die Tür aufhält. „Gib mir noch heute und morgen, dann geh ich ins Kolleg."

„Glaub mir" Ich muss zickzack die Stufen hochlaufen, weil eine Gruppe Unterstufenschüler beschlossen hat, die Treppe sei der ideale Ort zum Fußballkarten tauschen. „Ein Tag in dem Laden hier und du kriechst freiwillig zu Eleanor zurück."

„So schlimm?"

„Schlimmer. Wir starten mit Deutsch bei Frau Müller-Huber."

Ich sag's ja. Typisch Montag eben.

„Was wirst du ihr sagen?", fragt Mo. „Wegen mir..."

„Mir wird schon was einfallen. Entfernter Cousin oder so. Sei dankbar, dass Elena noch in Neuseeland ist und du neben mir sitzen kannst. Immerhin entgehst du so der ersten Reihe."

Mein Klassenzimmer befindet sich im dritten Stock. Wie immer ist der große Rest unserer Truppe schon versammelt. Wir werden von Kopfnicken empfangen und dass ist eigentlich mehr, als man erwarten könnte. Montagmorgen ist die Moral nie besonders hoch.

Mein Blick wandert durch die Runde und ich frage mich unwillkürlich, ob es wohl sowas wie eine Schablone der typischen Klasse gibt. Kurios. Kaum wirft man um die zwanzig Teenager mit dem Ziel von Bildung und Erziehung in einen Raum, nehmen sie zielsicher immer dieselben Rollenmuster an. Streber, Clown, Zicke, Schwarm, Everybody's Darling und das Opfer. Die Archetypen des Schülers. Auch in meiner Klasse sind sie vertreten, allerdings deutlich abgemildert.

Vermutlich wird das an diesem Punkt der Geschichte niemanden mehr wundern, aber ich passe auch hier in keine der Schubladen. Ich glaube, insgeheim wissen die meisten meiner Mitschüler nicht wirklich, was sie mit mir anfangen sollen. Mit den meisten verstehe ich mich auf Bekanntenbasis, wir machen freundlichen Smalltalk, aber meine einzige richtige Freundin ist Elena. Für die meisten bin ich das nette Nerd-Mädchen, das man respektiert und dessen Meinung man sich in Deutsch gerne einholt, das man aber nicht als erstes bedenken würde, wenn es an Party-Einladungen geht. Ich bin keine Gefahr, lästere nicht und mische mich nicht in Streitereien ein. In Ruhe lassen und in Ruhe gelassen werden, das ist mein Motto. Nicht groß auffallen. Bis jetzt bin ich damit immer gut gefahren. Natürlich ändert sich das ab dem heutigen Tag.

FabelblutWhere stories live. Discover now