Kapitel 8

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Ich lasse die Erde durch meine Finger rieseln. Sie ist dunkel und schwer, verklebt meine Haut und setzt dich unter meinen Nägeln fest.

Sie riecht nach Frühling, vielleicht sogar Sommer. Ich denke daran, wie ich einmal mit fünf oder vier Jahren, als Katie noch längst nicht auf der Welt war, stundenlang im Garten gelegen bin um meinen Kopf auf den feuchten Boden zu legen.

"Was machst du da?" Hatte Mum mich gefragt und ich blickte zu ihr hoch, lächelte verschwörerisch und flüsterte ihr ins Ohr: "Ich höre zu wie alles wächst."

Aber es ist so lange her, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann. Nur dass die Sonne wie ein glühender Kommet auf die Erde zu rasen schien, so unwahrscheinlich heiß war sie.

***

Das Gewächshaus, links neben Flur Nummer 3, ist groß, gläsern und in den Raum hinein gebaut worden, so dass sein Glass nur Millimeter von den Wänden oder der Decke entfernt ist.

Emmelie war mit stolzgeschwellter Brust voran geschritten und hatte uns Blumentöpfe, Schaufeln, die verschiedensten Samensortimente samt fremdartigem Dünger, und riesige Kübel mit Erde präsentiert.

"Wie... Toll" hatte es Hazel halbherzig versucht. Man sah ihr an, dass sie große Mühe hatte dem Ganzen etwas positives abzuringen.

Jetzt steht sie mit hochgekrempelten Ärmeln, einem unordentlichem Zopf und verrutschen Nerdbrille vor einem Haufen Erde.

"Ich dachte dass es in Alabama wenigstens ein bisschen Natur gibt." Spottet Melanie.

"Jedenfalls machen wir nicht den ganzen Tag eine Miene als hätten wir Kuhscheiße im Gesicht." Entgegnet Hazel gereizt.

Am liebsten hätte ich in die Hände geklatscht.

Wir sind seit einer halben Stunde damit beschäftigt Erde in die Blumenkästen zu schaufeln. Der Bildschirm vor uns, zeigt in Endlosschleife die animierte Aufnahme eines Mannes, der seinen Garten umgräbt. Dazu eine Stimme, die hin und wieder ein: "Sie haben es bald geschafft." von sich hören lässt.
Was wohl die Frage erübrigt wie
Motiviert wir bei der Sache sind.

"Wollen wir es nicht erst einmal dabei belassen so wie es ist?"- fragt Colin- "Schließlich müssen wir noch die ganzen Blumenzwiebeln einpflanzen. Weis jemand ob "Solanum tuberosum"
Eine Tulpe ist?" Das letzte ist an mich gerichtet, was mich ernsthaft überrascht. Sehe ich tatsächlich aus wie jemand der sich übermäßig für Pflanzen interessiert?

"Ähm..." Gebe ich geistreich von mir, bevor Hazel mich mit einem freundlichen" Das ist das lateinische Wort für Kartoffel.", unterbricht.

"Ah... Ach so" sagt er.

"Die können wir natürlich auch einpflanzen"- fährt sie fort während Colin mir einen irritierten Seitenblick zuwirft- "In Memphis habe ich 4 Semester lang Biologie studiert."

Melanie verdreht die Augen.
Kopfschüttelnd wende ich mich ab und schaufel noch mehr Erde in die Kästen.

Immer wieder muss ich an gestern Abend denken. Das Schlimme ist, dass ich einfach weis dass es kein Traum gewesen ist.
Dieser Raum, der Mann, selbst das beengende Gefühl von silbernen Drähten an meinen Handgelenken,
kommt mir bekannt vor.

'Es ist echt' schießt es mir in den Kopf
'Was auch immer es war, es ist wirklich passiert.'
Doch ich verbanne jeglichen Gedanken daran, um mich voll und ganz auf die Erde zwischen meinen Fingern zu konzentrieren.

Sie zerkrümelt und hinterlässt einen kalten Abdruck.
Wahrscheinlich wurde sie in Eden für all die Jahre kühl gehalten.
Vielleicht sogar der ganze Raum.

Als ich fertig geworden bin, lehne ich mich an das Glas, schüttelt den letzten Dreck von meinem Pullover (ein ausgeleierter Schrecken in Senfgelb) und öffne meine Haare, die ich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden habe.

Sie sind dunkel. Fast schwarz und noch dazu lang und dicht.
Wäre meine Haut gebräunt und absolut Sommersprossen frei, hätte das vielleicht toll aussehen können Leider bin mit ich mit meinem blassen Teint, einer schmalen Nase und grünen Augen, das komplette Gegenteil einer südländischen Schönheit.

Meine beste Freundin, Patricia, hatte mit einmal gesagt ich sähe, aus einem bestimmten Blickwinkel, aus wie Kristen Stewart.
Entweder habe ich diesen bestimmten Blickwinkel einfach noch nie im Spiegel entdeckt, oder er existiert erst gar nicht. Letztres ist wahrscheinlicher, wenn man bedenkt, dass Patricia von sich selbst aus behauptete sie sähe aus wie Kate Moss. Was absolut unmöglich Ist.

Colin lehnt sich neben mich an die Wand. Sein Gesicht ist gerötet und seine brauen Haare hängen ihm in die Stirn.

"Jack hat Nerven..." Sagt er und kratzt sich am Kinn.

"Ich dachte du wärst begeistert von der Idee, dass wir in einem Hightechgelände in México, Hunderte Jahre in der Zukunft, Kartoffeln anpflanzen." Sage ich, während wir Melanie und Hazel dabei beobachten, wie sie ihre verbliebene Erde in die Kästen schaufeln.

"Alles eine Frage des Blickwinkels."
Als er mich anschaut, ist da etwas Unergründliches in seinen Augen. Schnell sehe ich weg.

"Hast du heute Nacht auch so schlecht geschlafen?" fragt Colin.

"Nein."

"Wirklich?"

"Was interessiert dich das?"

"Nichts."

"Dann frag auch nicht nach."

Stirnrunzelnd trete ich von einem Fuß auf den anderen.

"Du bist diejenige von uns allen, die sich am meisten distanziert."sagt er.

"Dann hab ich auch einen Grund dazu."

"Okay, andere Frage: woher kommst du?"

"Kannst du das nicht Melanie fragen?"

"Hab ich schon: Sheffield, Yorkshire. Kleiner Bruder, golden Retriever, Klassenbeste in Physik, 18 Jahre alt und Landhaus mit Familie am Rande der Stadt."

"Du nervst."

"Ich weis"

"Lässt du mich dann in Ruhe?"

"Ja."

"Okay, du hast es so gewollt..."- stur hebe ich den Kopf- " Edinburgh, Schottland. Krebskranke kleine Schwester, 17 Jahre alt und eine Zweizimmerwohnung, Eltern geschieden. Zufrieden?"

Ich wende mich ab. Mein Gesicht ist rot und fühlt sich heiß an.

"Ich weis nicht"- sagt Colin nach einer Pause- "vielleicht".

Hazel und Melanie sind inzwischen fertig geworden. Ich schaue auf die Digitaluhr an dem Bildschirm.

Es ist 14: 34.

Es ist das erste Mal in meiner Zeit in Eden, wo ich so etwas wie Hunger verspüre.

Als wir mit Gesichtern und Händen voller Erde, das Gewächshaus verlassen und in Flur Nummer 3 stehenbleiben, kann ich für einen kurzen Moment, als Colin seine Ärmel hochkrempelt, einen Blick auf seine Handgelenke werfen.

Auch an ihnen, kann ich zartrosa Narben erkennen.

EdenWhere stories live. Discover now