Kapitel 42

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Ich musste nicht kotzen.

Aber dafür wurden mir jetzt mindestens alle Gelenke ausgekugelt, so fühlt es sich jedenfalls an. Denn als das Seil plötzlich gestoppt hatte wurde ich brutal noch vorne geschleudert und konnte noch so gerade der Eisenstange ausweichen an der es befestigt worden ist.

Mit zitternden Händen öffne ich den Haken und lasse mich daran herunterrutschen.

Das Erste was ich bemerke als ich unten ankomme, ist der Sand der fehlt. Unter meinen Füßen ist Erde, schwarze Erde die meine dünnen Schuhe sofort aufweicht. Ich blicke mich um. Zu meiner Rechten und Linken wachsen Bäume dunkelgrüne Tannen und heller Ahorn ab und zu sogar eine Birke oder eine Eiche.

Ich befinde mich mitten in einem Wald.

Ich weiß gar nicht wie ich erst jetzt bemerken kann, wie sehr ich das vermisst habe. Der dichte Geruch von Wasser und Pflanzen. Das Gefühl, dass alles wächst. Ich lege eine Hand auf den Boden, streiche über die Erde, über das Unkraut das dort wächst, fühle die flauschigen Löwenzahnblüten.

Meine Mum war Landschaftsarchitektin gewesen, als ich klein war hat sie mich manchmal mitgenommen, ich durfte Blumen umtopfen und ab und zu die Tulpen sähen. „Bei einer Blumenzwiebel kommt immer der Teil mit den komischen Härchen nach unten und der mit dem kleinen grünen Stiel nach oben." Hat sie immer gesagt.

Ich habe lange nicht mehr daran gedacht.

„Und war es so schlimm?" Emmett baumelt wie auch ich zuvor in der Luft, er hakt sich ab und springt die letzten Meter nach unten. Ich habe ihn gar nicht kommen hören.

„Es war schrecklich." Sage ich „Von wegen gewöhnungsbedürftig."

„Du hast es überlebt." Er grinst. Auch er sieht aufgepusht aus von dem kurzen Adrenalinausstoß.

„Und was passiert jetzt?"

„Zuerst einmal..." er richtet sich auf und klopft sich den Sand von den Schultern, dann bückt er sich nach den Seilen die auf dem Boden liegen „... werden wir die hier irgendwo verstauen."

Nachdem wir sie in einem Gebüsch versteckt haben, und sichergestellt haben, dass man die bunte Farbe durch das Grün der Blätter nicht mehr sehen kann, folge ich Emmett durch das Unterholz, das sich als äußerst tückisch herausstellt und mir erst das T-Shirt und dann die Arme zerkratzt.

„Ich weiß jetzt deinen Nachnamen." Sage ich nach einer Weile in seine Richtung. „Finglane? Richtig?"

„Und?" sagt er ohne sich umzudrehen und hält mühelos einen Ast nach oben, damit ich darunter hin durch kriechen kann.

„Nichts. Aber meinst du nicht das Finglane fast genauso bescheuert klingt wie Sutherland?"

Anstatt verärgert zu sein meint er nur: "Ich benutze meinen Nachnamen nicht."

„Das macht hier nie jemand."

„Warum ist es denn wichtig?" fragt er und bleibt für einen Moment stehen. „Muss man sich immer über die Familie personifizieren?"

„Ich weiß es nicht. Bei uns hat man immer den Nachnahmen gesagt. Man musste sich erst näher kennen um den Vornamen zu benutzen."

„Das finde ich bloß albern." Sagt er.

„Und ich finde bloß albern, dass man hier kein richtiges Essen bekommt."

„Nicht schon wieder das Thema." Er schnaubt auf." Ich habe dir doch gesagt dass es nicht anders geht."

„Schon, aber hast du jemals frische Tomaten gegessen oder in ein noch warmes Brot gebissen?" frage ich ihn und bekomme selber Appetit.

„Um ehrlich zu sein, ja. Von den Tomaten mal abgesehen."

„Wo hast du das denn herbekommen?"

„Als wir Kinder waren, haben ich und Cara manchmal ein Stück von dem Brot abbekommen, dass man symbolisch zum Erntedankfest bäckt."

„Erntedankfest? Was habt ihr denn das Jahr über geerntet? Tabletten die auf den Bäumen wachsen?" ich lache fast.

„ich gebe es auf, bei dir kommt man nicht weit."

„Du hast mir immer noch nicht gesagt, was ich hier eigentlich machen werde." Stelle ich fest, als wir an einer Lichtung stehen bleiben.

„Als Erstes werde ich dir beibringen, wie man schießt ."

Verblüfft ziehe ich die Luft ein. „Wie man schießt? Du weißt schon, dass sich das nicht unbedingt nach Waldarbeiten anhört."

„Es ist nicht wichtig wonach es sich anhört." sagt Emmett "Bäume zu fällen bringt dir nicht viel, wenn ein Mutant vor dir steht."

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