Kapitel 35

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Ein Mädchen mit ein hässlichen Narbe, die sich wulstig über ihre rechte Gesichtshälfte zieht und ihre Züge auf groteske Art und Weise entstellt, beugt sich zu mir hinüber und grinst mich mit gelben Zähnen an.

"Na, hamms' dich auch in dieses Drecksloch gesteckt, weil's' nichts andres für dich gefunden ham?" Fragt sie. Ihre Stimme klingt schleppend und verrußt. Mit dem Vorwand eine nächste Ladung Schotter zur Seite zu schaufeln, rücke ich von ihr weg um ihrem verfaulten Atem zu entkommen. Erst überlege ich, sie einfach zu ignorieren, aber ich würde es ihr zutrauen, mich so lange zu nerven, bis sie eine Antwort aus mir herausgequetscht hat, also sage ich kurz angebunden:" Ich bleibe nicht lange hier."

"Da stehst jedenfalls besser da als ich." Das Mädchen schnaubt und rammt ihre Schaufel in den Boden, dass sie wie ein toter Arm aus dem Schmutz ragt. "Mich wird's hier noch in zwanzig Jahren geben."

 Ich entferne mich ein paar Schritte von ihr, in der Hoffnung einem Gespräch zu entgehen. Doch anscheinend versteht sie meinen Wink mit dem Zaunpfahl nicht und kommt jetzt erst recht in Fahrt.

"Vorn' paar Wochen gab's hier n Typ. Martin oder Marcus oder so, den hat man so lang schuft'n         lass'n dass er dann einfach in der Mittagspause tot umgekippt is. Einfach so, ich mein, wenn ich dann hier weiter mach, wird's mich auch erwischen. Drauf könnt ich wett'n'."

Ich muss schlucken.

"Meinst du damit, er wurde gezwungen, hier zu arbeiten?" Sie schaut mich verständnislos an.

"Sag mal, du sprichst irgendwie anders. Woher kommst'n du?" Fragt sie.

Bevor ich etwas darauf erwidern kann, ertönt eine laute Stimme, die über die Straße zu uns hinüber schallt. "Rachel, quatsch nicht so viel. An die Arbeit." Ich drehe mich um und sehe den Aufseher, an den mich Jody zuvor übergeben hatte. Das Mädchen seufzt, wischt sich den Rotz am Ärmel ihres verdreckten Hemdes ab und reißt ihre Schaufel wieder aus dem Boden.

"Der da kann mich nicht leiden." Sagt sie. "Ich ihn im Übrigen auch nicht. Is n' Arschloch." Fügt Rachel hinzu und macht eine obszöne Geste in Richtung des Aufsehers, als dieser gerade nicht hinsieht.

Es ist eine Stunde her, seit ich hier angefangen habe und meine Hände tun jetzt schon weh und ich meine schon zu spüren, wie sich auf allen unbedeckten Stellen meines Körpers, ein heftiger Sonnenbrand ausbreitet. Außerdem schmerzt mein Rücken, von dem ganzen Hinunterbeugen. 

Mir wird bewusst, dass ich zuvor noch nie richtig arbeiten musste. Mal abgesehen von dem ganzen Kram zu Hause, wenn Mum zu betrunken war, um sich auf den Beinen zu halten, aber so richtig konfrontiert, mit körperlicher Anstrengung, wurde ich noch nie. In den letzten Wochen, bin ich zwar oft an meine Grenzen gekommen, aber da war es etwas anderes als das hier. Da ging es einzig und allein um mein Überleben. Um meinen egoistischen Selbsterhaltungstrieb. Und das beweist wieder einmal, meine Schwäche.

Ich ramme die Schaufel fest nach unten und kippe eine nächste Ladung Steine in die Schubkarre, die sich langsam zu füllen scheint. Dann schaue ich wieder zu Rachel auf und betrachte ihr entstelltes Gesicht.

"Glotz nicht so." Schnauzt sie mich plötzlich an und ich richte meinen Kopf schnell wieder zu Boden. "Naja, kann man ja schlecht übersehen." Zieht sie zurück und wirkt wieder etwas versöhnlicher.

"War eins von diesen scheiß Mutantenvögeln. Als ich vier war. So ne Biester." Sie lacht ein bisschen, aber aus ihrem Mund klingt es hart. Ich schweige und wünschte sie hätte mir diese Information lieber erspart. 

Um uns herum sieht man überall Männer und Frauen, die genauso wie wir, die Straße vom Schutt befreien. Die Luft ist erfüllt mit dem brennenden Geruch von Teer, der in großen Metallbehältern angerührt wird, den lauten Geräuschen von schleifenden Steinen und dem Knirschen trockenen Sandes, der unter den Schuhen vieler niedergetreten wird. Außerdem, liegt auf allem eine dicke Schicht Staub, selbst in meinem Mund, sodass ich ständig husten muss. 

Das Gefühl von Sauberkeit ist längst verflogen und ich fühle mich genauso schmutzig wie in den letzten Wochen. Die Sonne steht jetzt hoch am Himmel und obwohl sie ihre Höchsttemperaturen noch nicht erreicht hat, brennt sie doch schon jetzt gnadenlos auf uns nieder. Keine gute Kombination mit dem absorbierendem Schwarz des Teers. Ich habe das Gefühl lebendig in einen Backofen gesteckt worden zu sein. Wenigstens scheint die Wirkung der Tablette mit den zusammengepressten Nährstoffenn noch nicht nachgelassen zu haben und übel ist mir zum Glück auch noch nicht geworden. 

In den nächsten Stunden arbeite ich schweigend vor mich hin und schaffe es sogar, meine Gedanken zu minimieren und wie eine Maschine in monotonen Abläufen zu reagieren. Das funktioniert eine Weile ganz gut, bis mich eine laute Stimme, die über den Platz schreit:" Wir sind fertig für heute.", aus dem Konzept reißt. 

Ich schaue auf und bemerke am rötlichen Licht auf meinen Armen, dass es bereits später Nachmittag sein muss. Alle anderen um mich herum, scheinen nur auf diesen Aufruf gewartet zu haben, denn sofort lässt jeder seine Schaufel zu Boden fallen und macht sich auf den Weg, in Richtung der belebten Straßen auf der anderen Seite.

Ich tue es den anderen nach und schwelge schon in dem Gedanken mich  ab zu duschen, um den ganzen Dreck von mir wegzubekommen und mich nachher in mein Bett zu legen. Plötzlich taucht Rachel wieder neben mir auf. Sie  grinst mich an und nur mit Mühe ringe ich mir ein angestrengtes Lächeln ab. Doch bevor sie irgendetwas sagen kann, kommt mir  der Aufseher mit den Schweinsaugen entgegen getrabt.

"Ich soll dir von Jody ausrichten, dass du ab heute in den Gemeinschaftsräumen untergebracht sein wirst." Sagt er.

Ich bleibe erschrocken stehen. "Aber ich habe doch schon einen Platz, wo ich schlafen kann..."

"Anscheinend, nicht mehr." Er beschleunigt seine Schritte und ruft Rachel noch kurz über die Schulter zu, bevor er in der Menge verschwindet: " Zeig ihr den Weg."

Verwirrung macht sich in mir breit. Gemeinschaftsräume? Was soll ich mir darunter vorstellen? Ich war so erleichtert gewesen, endlich alleine in einem Raum zu schlafen, ohne ein Haufen anderer Menschen um mich herum.

Statt meine Unzufriedenheit zu bemerken meint Rachel nur vergnügt: "Oh, das is toll, dann wohnste ja direkt in meiner Nähe."

Ja, ganz toll. Denke ich. Was habe ich nur für ein unverschämtes Glück.

 



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