Kapitel 15

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"Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird, zu leben."

Von Marcus Aurelius

***

Sand dringt in die Ritzen meiner Schuhe. Zwischen meinen Zehen kann ich die kleinen Steine ebenso spüren, wie das Gewicht des Rucksackes, der mich an den Schultern zu Boden drückt. Dass die Sonne wie Geschosse zu Boden knallt, macht es nicht unbedingt besser.

Ich denke an gestern Abend, als ich durch die Vorratskammer geschlichen war und alles Essen in Tüten stopfte, das mir in die Finger geriet. Natürlich nicht alles, aber schon so viel, dass es mehrere Tage reichen sollte. Wenn nicht sogar Wochen. Hilary, eine magere Frau mit blond gefärbten Haaren und einer schiefen Nase, war ich nur knapp ausgewichen, als sie auf der aussichtslosen Suche nach Zigaretten, sämtliche Fächer und Kisten durchstöberte. Mit klopfendem Herzen hatte ich hinter einem Schrank ausgeharrt und mir nicht einmal mehr getraut zu atmen.

Niemand sollte erfahren, dass wir vor haben zu gehen. Niemand.

Wir sind jetzt zu sechst. Melanie, Hazel, Colin, ich und zwei, Freaks in den 30igern, die sich Bug und Miller, nennen.
Obwohl sie sich kein bisschen ähnlich sehen, verwechsele ich sie andauernd. Colin hatte zuerst eigentlich nur Bug gefragt, weil der in L.A. in einem Zoo angestellt und schon mehrere Male Mitglied sämtlicher Survival- Tripps durch ganz Amerika war. Und da Bug generell nichts ohne seinen Bruder, Miller, macht, wurde kurzerhand beschlossen, dass dieser auch mit von der Partie ist.

Hazel, deren Intelligenz schlichtweg unentbehrlich ist und Melanie, um die man einfach nicht herum kommt.

Es ist halb sechs Uhr abends. Wir hielten es für das Beste, hinsichtlich der bestialischen Temperaturen. Ich weis nicht wo die Anderen sind. Vielleicht essen.

In wenigen Minuten, werden sie feststellen, dass sie nur noch 19 sind. 19 von 30.
Fast die Hälfte.
Fort.
Wie viele uns wohl noch nachgehen werden?

In meinem Leben, habe ich schon ziemlich viel, aufgrund einer Kurzschlussreaktion gemacht, das sich im Nachhinein, als absolut bescheuert herausgestellte und obwohl ich weis, das das hier, schlimmer ist, als alles zuvor, weis ich einfach, dass es richtig ist. Egal was passieren wird. Es ist der einzige Weg.

Es ist zwar ein Himmelfahrtskommando, aber wenigstens sterbe ich mit Sinn. Mit dem Sinn, gesehen zu haben, was um mich herum, der Erde, der ganzen Menschheit geschehen ist. Dann kann ich mit Katie abschließen.
Den Traum beenden.
Endgültig.

Später werde ich an diesem Moment zurückdenken. Wie wir hier standen, mit so vielen Hoffnungen. Wie Colin die Riemen seines Rucksackes enger schnürte und Hazel verzweifelt versuchte die letzte Packung Trockenfleisch in ihre Taschen zu stopfen.

Wer weis, wie viel ich dann schon gesehen habe. Wie viel Zerstörung.

Aber es ist es wert.
Da bin ich mir sicher.

***

Mit jeder Minute scheint die Luft mehr abzukühlen. Man könnte es schon fast kalt nennen. Und das, wo wir nur wenige Stunden zuvor, an der Hitze beinahe gestorben sind.

Bug läuft mit dem Kompass in der Hand voraus. Immer weiter Richtung Norden hat er gesagt. Dann können wir nichts falsch machen. Er kann zwar noch nicht einschätzen, wo wir uns genau befinden, aber irgendwann, unabhängig davon, wie lange das wohl dauern mag, müssten wir an die Grenze der vereinigten Staaten stoßen. Das hört sich gut an.
Es klingt nach Zivilisation.

Wir laufen an verfallen und vertrockneten Baumstümpfen vorbei,
an Kakteen, wie riesige Finger in den Boden gesteckt.

Meine Füße tun weh. Eine Blase nach der anderen platzt an den Zehen auf. In letzter Zeit habe ich mich einfach nicht sonderlich viel bewegt.
Die kleine Digitaluhr an meinem Handgelenk, zeigt 21:33 Uhr an. Wir sprechen kaum.

Ich kann im Dämmerlicht ihre Gesichter erkennen. Jeder hat einen anderen Grund gehabt, mitzukommen.
Neugierde, Langweile, ein Hang zur Selbstzerstörung, eine vermeintliche Schwäche zum Heldendasein?
Keine Ahnung.

Ich weis es ja selbst nicht.

Jeden Atemzug den ich tue, befördert mehr Sand und Staub in meine Lungen. Wahrscheinlich sind sie schon ganz verstopft vor lauter Schmutz. Obwohl ich heute kaum etwas gegessen habe, hat mein Körper weder Hunger noch Durst.
Er spürt nur die Erschöpfung.

Wir haben vereinbart in einer halben Stunde Pause zu machen. Aber nicht lange, schließlich wird Nachts, die einzige Tageszeit sein, bei der wir uns fortbewegen können, ohne an einem Hitzschlag, kläglich im Sand zu verrecken.

"Ich glaube, ich sterbe bald." Melanie bleibt stehen und reibt sich über die Knie.

"Ich glaube, ich auch ." Miller lässt sich auf den Boden fallen. Sein Rucksack gibt ein lautes Scheppern von sich.

Colin bleibt stehen ,und auch er sieht erschöpft aus, dennoch sagt er in aufmunternden Ton: "Kommt schon, nur noch ein paar Meter. Wir müssen weiter." Im Licht der sterbenden Sonne, sieht sein Gesicht rot aus.

Unschlüssig betrachte ich die Anderen. Auch ich würde mich gerne hinlegen und ausruhen, aber ich weis, dass Colin Recht hat.

Eden, war schon nach einer halben Stunde aus unsrem Sichtfeld verschwunden. Ein großer Hügel hatte sich davor geschoben. Ich bin froh darüber. Es nimmt mir die Möglichkeit, zurückzurennen.

Jetzt hält auch Bug inne. An seinem Glatzkopf läuft der Schweiß.
"Es hat keinen Zweck, wir machen Pause. Es ist unser erster Tag und wir müssen die nötigen Konditionen sammeln, für das was noch kommt."

Und da ist es wieder: die allgegenwärtige Ungewissheit, vor dem, was vor uns liegt.

Colin seufzt "Na gut."

Ich lasse mich erschöpft auf den Boden fallen. Die Anderen tun es mir nach.
Ich höre noch Hazel's Stimme die murmelt: "Sollte nicht einer von uns, Wache halten, oder so?", bevor sich meine Augen wir von selbst schließen und ich in einen tiefen Schlaf sinke.

***

Ich werde von etwas Warmen, Nassen, an meinem Hals geweckt. Für einen Moment, fühle ich mich absolut orientierungslos, bin nicht einmal in der Lage die Augen zu öffnen.

Ein lautes Geräusch dringt an mein Ohr. Es hört sich nach einem hohen Schniefen oder Kreischen an.

Meine Lieder springen wie von selbst auf und geben den Blick auf zwei orangerote Pupillen frei, die sich in unmittelbarer Nähe, zu meinem Gesicht befinden.

Oh, scheiße.

EdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt