Kapitel 45

3.8K 351 14
                                    

Ich stehe in meinem Zimmer. Es sieht genauso aus wie immer. Die blaue Tapete, das zerfranste Sofa das nach Tabak riecht, meine Zeichenblöcke überall im Zimmer verstreut.

Aber ich bin nicht alleine.

Katie steht an meiner Tür. Ich weiß genau dass sie dort steht.                                                                           Muss mich nicht einmal umdrehen um es zu wissen, aber ich tue es und sofort muss ich lächeln als ich sie sehe.

„Du bist gesund." Sage ich. Lange blonde Locken fallen ihr über die kleinen Schultern, die jetzt gar nicht mehr so klein sind. Sie sehen kräftiger aus, als habe sie zugenommen und ihre Gesichtsfarbe ist viel rosiger, nicht mehr so blass und kaputt.

„War ich denn jemals krank?" fragt sie.

„Ich glaube ja. Aber ich weiß es nicht mehr." Sage ich.

„Du bist verrückt Maggie." Sagt sie und ihre Mundwinkel ziehen sich nach oben.

Mit meinen Händen umschließe ich ihr Gesicht. Es ist so klein, wie etwas ganz Zerbrechliches.

An meinem zweiten Geburtstag, schenkte mir meine Oma eine kleine Frau aus Glas. Sie stand auf einem Sockel, die Hände auf ihre Brust gelegt als ob sie ihr Herz spüren wollte, wie es pochte. Die Finger waren so fein, noch dünner als eine Nadel und ihre Augen geschlossen.

Meine Mutter hatte so Angst ich würde sie kaputtmachen, dass sie sie in einem Regal aufbewahrte, im obersten Fach, sodass ich nicht herankommen konnte.Aber ich stand manchmal davor und beobachtete die Gestalt, von ihrem Podest aus, wie sie sie so dastand und nie ihre Augen ganz öffnen konnte.

Theoretisch hätte ich sie schon längst zu mir hohlen können um sie selbst aufzubewahren aber irgendwie hatte ich noch immer Angst sie würde in meinen Händen zerbrechen. Also ließ ich sie einfach dort oben auf dem Schrank stehen und meine Mutter fragte auch nie danach.

Katies Wangen fühlen sich heiß an. Ich lasse meine Hände sinken und sehe dass ihre Augen glasig werden.

„Maggie." Sagt sie und dann kippt sie in sich zusammen, wie etwas aus Pappe, das man in Wasser gelegt hat. Erst die Beine, dann der Oberkörper und schließlich ihr Kopf der auf meine Schulter fällt. Ich lege sie auf den Boden.

Schüttele sie, als sie ihre Augen schließt.

Ich wische ihr das Haar vom Gesicht. Die Strähne bleibt an meiner Hand hängen und fällt wie ein alte Haut von ihrem Kopf. Es ist nicht die Einzige. Katies Schädel liegt nackt und weiß vor mir und um sie herum liegen so viele Haare. Wie ausgerollte Wolle.

„Katie." Rufe ich jetzt ganz laut. Meine Stimme hallt wieder. Katie, Katie, Katie, Katie, Katie, Katie...

Ihre Haut wird immer dünner, zerbricht und bekommt Risse, verfärbt sich erst gelb und dann braun und irgendwann kann ich ihre Knochen sehen, bis das weiße Sommerkleid von ihren Schultern rutscht.

Vor mir liegt ein kleiner Mensch und er bewegt sich nicht mehr.


„Komm schon. Aufstehen." Der Mann mit dem Mundschutz hat sich über mich gebeugt und leuchtet mir mit einem grellen Licht ins Auge. Ich huste.

„Gott, sie macht alles dreckig. Bringst sie raus und holt die nächste." Sagt er mit schriller stimme. Auf seinem Kittel sehe ich einen Blutstropfen, der gerade nach unten rollt und einen langen Streifen hinterlässt. Jemand kommt und packt mich an den Schultern, zieht mich vom Stuhl hinunter. Mir ist egal wer es ist.

Vor der Tür legt sich eine Hand auf meine Schulter.

„Ist alle gut, hörst du? Die machen das nicht zum ersten Mal. Is nur so was um dich auf emotionale Belastbarkeit zu prüfen."

Ich blicke auf. Vor mir steht ein Junge. Bestimmt ein bisschen älter. Vielleicht zwanzig oder so. Er trägt eine weiße Uniform.

„Ich bring dich jetzt gleich in die Kantine. Die geben dir dann was zu essen. Hörst du? Die wollen doch, dass du überlebt. Wie heißt du denn?"

Er ist höflich, denn mein Name steht auf dem Armband mit dem Scanner, an meinem linken Handgelenk.

„Maggie." Sage ich.

„Gut, mein Name ist Thomas." Er zieht mich hoch „Und jetzt hohlen wir die was zum Essen, Maggie."

„Wie lange hast du das schon." Fragt Emmet. Ich liege neben ihm. Ganz still. Meine Augen sind offen, aber ich starre irgendwo ins Gras.

„Lange." Sage ich.

„Wieso hast du den Namen meines Großvater gesagt." Er reißt einen Büschel Gras aus der Erde und wirft ihn irgendwo auf den Boden. Was für eine Verschwendung.

„Thomas." Wiederhole ich.

„Ja."

Meine Finger krümmen sich. „Weil ich ihn gesehen habe."

Wo hast du ihn gesehen?"

Es braucht lange, bis ich es schaffe Luft zu holen. „Eden."

Eine weile sagt er nichts. Dann dreht er sich zu mir um. „Du darfst es niemandem sagen."

„Ich weiß."

„Nein, weißt du nicht." er klingt bedauernd. „Das was du siehst, bringt dich in Gefahr. Du darfst dich nicht erinnern. Wenn du es tust, dann bist du verloren."

„Du wusstest wer ich bin. Richtig? Ganz am Anfang."

„ja." Emmett nickt. „Mein Großvater kannte dich."

EdenWhere stories live. Discover now