Chapter 10

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„Also", sagte ich, als ich mich wieder gefasst hatte und Jake sich zu mir umgedreht hatte, „der Jake Stewart hat einfach mal so beschlossen, seine Fake-Freundin zu besuchen, um sie besser kennenzulernen?"

„Genau. Darf ich das nicht?"

„Habe ich das gesagt?", fragte ich schlicht und einfach, weil mir kein besserer Konter eingefallen war. Ohne eine Antwort zu geben, legte er seinen Helm auf das kleine Regal, dass an der Wand des Flurs stand und es kam wieder Leben in mich.

„Kann ich dir irgendwas anbieten?" Manieren hatte ich schon immer gehabt und selbst bei Jake Stewart versagten sie anscheinend nicht.

„Nein, danke." Tja, soviel dazu. „Was hast du eigentlich gerade gemacht?", fragte er. „Störe ich irgendwie?"

„Nein nein, schon gut", versicherte ich ihm. „Ehrlich gesagt bin ich froh über die Störung. Ich verzweifele gerade an meinen Mathe-Hausaufgaben."

„Soll ich dir vielleicht helfen?", bot er an und ich sah ihn erstaunt an. Ich wusste, dass Jake vieles sein konnte - arrogant und nervig zum Beispiel - aber hilfsbereit? Das war mir echt neu.

„Ich dachte, du magst Mathe auch nicht?", sagte ich, als mir einfiel, wie ich mich heute Morgen mit ihm darüber unterhalten hatte.

„Tue ich auch nicht. Aber das neue Thema habe ich eigentlich verstanden, also kann ich versuchen, es dir zu erklären. Natürlich nur, wenn du möchtest", warf er am Ende noch ein und ich lächelte ihn unwillkürlich an. Er hatte auf einmal so unsicher geklungen, dabei hatte er doch gar keinen Grund dazu.

„Gerne. Danke." Er grinste und ich dirigierte ihn die Treppe hoch in mein Zimmer. Im Nachhinein war ich echt froh, dass ich eben nach der Schule schon aufgeräumt hatte, sonst wäre das sicher ziemlich unangenehm für mich geworden.

„Schönes Zimmer", sagte Jake, als er mein Zimmer betreten und sich kurz umgesehen hatte.

„Danke", meinte ich und blickte mich auch kurz in meinem Raum um, obwohl ich mein Zimmer natürlich kannte und echt mochte. Die Wände waren in einem schlichten Weiß gehalten, nur eine Wand fiel mit ihrem Dunkelrot etwas auf. Mein Sofa stand davor und sah mit den vielen Kissen darauf wirklich sehr gemütlich aus. Mein Bett stand weiter hinten in der rechten Ecke, meinen Schreibtisch hatte ich unter das große Fenster gestellt, durch das ich in den Garten schauen konnte. Eine Tür im hinteren Teil des Zimmers führte zu einem kleinen Badezimmer, das ausschließlich ich benutzte, doch Jakes Blick hatte sich auf die Fotos gerichtet, die auf meinen Schreibtisch standen und er betrachtete sie neugierig.

War ich wirklich so interessant für ihn oder tat er aus irgendeinem Grund nur so? Nach kurzer Zeit löste er seinen Blick dann von den Fotos von mir und meinen Freunden und schaute sich meine Hausaufgaben an, die immer noch aufgeschlagen auf meinem Schreibtisch lagen.

„Ja, das Thema hatte ich schon", sagte er und als er mich fragend ansah, nahm ich meinen Mathe-Kram vom Schreibtisch, setzte mich aufs Sofa und bedeutete ihm, sich auch zu setzen. So sehr ich Mathe auch hasste, ich wollte es wenigstens verstehen.

„Ist wenigstens mein Lösungsansatz richtig?", fragte ich und er warf noch einmal einen Blick darauf, ehe er wieder mich ansah.

„Äh... nein." Ich verzog das Gesicht. Ich war mir so sicher gewesen. „Pass auf", sagte er und begann, mir mein Hassfach zu erklären. Erstaunt stellte ich fest, dass er sehr gut erklären konnte und nachdem er mir eine Aufgabe vorgerechnet hatte, hatte ich das Gefühl, das Thema doch verstanden zu haben. Ich schnappte mir also meinen Collegeblock und gab mich an die nächste Aufgabe - diesmal ohne seine Hilfe -, während er mich beobachtete.

„Ist das richtig?", fragte ich nach ein paar Minuten und hielt ihm mein vollgeschriebenes Blatt unter die Nase.

„Ja, ist es", sagte er und ich begann zu grinsen. „Danke", meinte ich immer noch lächelnd, als ich zum Abschluss der Aufgabe noch den Antwortsatz hinschrieb. Als ich wieder aufblickte, sah ich, dass Jake mich immer noch mit einem seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht beobachte.

„Warum siehst du mich so an?"

„Nur so." Nur so? Niemand tat etwas nur so.

„Jake..." Ich wusste, dass er irgendetwas nicht sagte.

„Ich habe nur gerade darüber nachgedacht, was Dylan heute in der Pause gesagt hat. Er hat Recht." Dylan? Der arrogante Macho aus seiner Clique?

„Hä", machte ich, weil ich gerade nicht wirklich wusste, wovon er sprach. Jake, der während unseres Wortwechsels die ganze Zeit auf einen Punkt oberhalb meines Kopfes gestarrt hatte, sah mir wieder in die Augen.

„Du bist hübsch", sagte er ohne einen Hauch von Ironie in der Stimme.

Verblüfft sah ich ihn an. Irgendwie überraschte er mich immer wieder aufs Neue und für einen kurzen Moment wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte.

„Danke", meinte ich nach einer kurzen Stille, in der keiner von uns etwas gesagt hatte. Dann räusperte Jake sich ziemlich vernehmlich.

„Also, jetzt da du Mathe verstanden hast..." Er brach ab und starrte wieder auf den Fleck über meinem Kopf. Es faszinierte mich aus irgendeinem Grund, dass Jake sich so komplett anders - positiv anders - verhalten konnte.

„Jetzt, wo ich Mathe verstanden habe...?, fragte ich nach, als Jake nach kurzer Zeit immer noch nichts gesagt hatte.

„Ich bin hergekommen, um dich besser kennenzulernen." Auch wenn sich der Satz ein bisschen komisch anhörte, wusste ich was er meinte und nickte.

„Was ist deine Lieblingsfarbe?" Bei seiner Frage musste ich kurz grinsen, antwortete ihm aber mit „Dunkelrot". Jake grinste und wies auf die Wand hinter uns, die meine Lieblingsfarbe wirklich perfekt widerspiegelte. „Und deine?"

„Dunkelblau, denke ich. Ich mache mir über so etwas nicht so viele Gedanken." Ich lächelte, das hätte mich nämlich auch gewundert.

„Lieblingsfilm?", fuhr er fort und ich musste kurz überlegen.

„Tribute von Panem, aber eigentlich alle Teile. Ich könnte mich nicht auf einen festlegen." Jake nickte.

„Ich mag eigentlich Star Wars echt gerne. Auch wenn man das vielleicht nicht von mir erwartet, finde ich die Geschichte der Filme echt faszinierend." Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte die Filme nie gesehen.

„Da kann ich nicht mitreden."

„Was?", fragte Jake mit gespieltem Entsetzten. „Das ist eine Bildungslücke! Da werden wir auf jeden Fall etwas gegen unternehmen." Wir? Werden? Ich versuchte, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen.

„Ach ja?"

„Ja. Ich glaube, am Wochenende läuft ein Star Wars-Marathon im Kino. Den werden wir gucken gehen." Schon wieder überrascht sog ich die Luft ein. War das seine Art, eine Fake-Freundin nach einem Fake-Date zu fragen? Aber warum wollte er dann nicht in irgendein Restaurant oder Café gehen, in dem uns jeder sehen konnte? Naja, ich würde es ja spätestens beim Star Wars-Marathon herausfinden, also lächelte ich ihn einfach an.

„Okay."

PretendingWhere stories live. Discover now