Chapter 55

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Das wohlige Gefühl im Magen, das irgendwann während meines spontanen Ausflugs mit Jake aufgetaucht war, hatte mich selbst am nächsten Morgen noch nicht verlassen, als ich in der Schule wieder auf Jake und meine Freunde traf. Irgendwie ärgerte mich das total, dieses Gefühl war einfach ein Widerspruch zwischen meinem Herz und meinem Kopf, zwischen dem, was ich fühlte und dem, was ich eigentlich dachte – zum Verrücktwerden.

Soweit ich das beurteilen konnte, schien Jake aber etwas positiver gestimmt zu sein als in den letzten Tagen, denn irgendwie hatte er wieder ein wenig von seiner eigentlich für ihn typischen Leichtigkeit wiedergefunden. Ehrlichgesagt musste ich zugeben, dass mich das freute. Es war einfacher, über ihn nachzudenken, wenn er zumindest nicht mehr so deprimiert zu sein schien.

Heute hatten Jake und ich auch direkt gemeinsam in den ersten beiden Unterrichtsstunden Sport, also legten wir den Weg zur Sporthalle zusammen zurück, während die meisten anderen unserer Freunde sich auf den Weg ins Hauptgebäude machten. Zuerst war es ein wenig seltsam, da wir beide wieder einmal schwiegen, aber dann fiel mir ein, dass ich Jake eigentlich schon länger etwas hatte fragen wollen.

„Was hast du eigentlich Marc erzählt, damit er mich für dich ins Café lockt?" Ich hatte mich gefragt, ob Jake ihm vielleicht von der Fake-Beziehung erzählt hatte oder doch einen anderen Vorwand gefunden hatte. Jake wiederum sah mich vorsichtig von der Seite an, ehe er mir mit Bedacht gewählten Worten antwortete.

„Nicht die komplette Wahrheit. Ich habe zwar nicht gelogen, aber ihm lediglich gesagt, dass ich Mist gebaut hatte und dringend mit dir reden wollte, du mir aber – zu Recht natürlich – nicht zuhören wolltest." Ich dachte kurz über seine Worte nach. Jake schien die Redewendung „Mist gebaut" im Zusammenhang mit dem, was er getan hatte, wirklich häufig zu gebrauchen, ich hatte mich schon bei meinem ersten Gespräch mit Emily darüber gewundert.

Ich überlegte kurz, ob ich noch irgendetwas antworten sollte, aber Jake schien anscheinend auch nicht zwingend einen Kommentar auf seine Aussage zu erwarten, also ließ ich es einfach sein. Kurz vor der Sporthalle trafen dann auch die Freunde, die gemeinsam mit uns Sport hatte, zu uns und eine Weiterführung unseres Gesprächs wurde somit sowieso unmöglich.

Als ich mit Dana – der festen Freundin von einem von Jakes Freunden und nun auch eine meiner besten Freundinnen – die Sporthalle betrat, nachdem wir uns unsere Sportsachen angezogen hatten, stellte ich fest, dass wir das Thema Badminton anscheinend nun abgeschlossen hatten und Handball nun an der Reihe war. Auch wenn Badminton eine meiner Lieblingssportarten darstellte, mochte ich Handball eigentlich auch, zumindest wenn das Team, in dem man spielte, auch wirklich teamfähig war und die Spieler nicht ständig einen Alleingang starteten.

Normalerweise teilte unser Sportlehrer meistens die Mannschaften ein und versuchte so zu garantieren, dass die Spiele auch wirklich ausgeglichen abliefen, aber da dies unsere erste Unterrichtsstunde für das neue Thema war, so erklärte unser Lehrer, sollten wir einfach abzählen. Ein wenig ärgerte ich mich, nicht mit Dana in einem Team zu sein, da wir uns eigentlich ziemlich gut ergänzten, aber sobald sich meine Mannschaft zusammengefunden hatte, stellte ich fest, dass Jake wohl in dasselbe Team wie ich eingeteilt worden war und irgendwie stimmte mich das dann wiederum auch fröhlich.

Während der Zeit, in der wir uns aufwärmen und einwerfen sollten, hatte ich dann jedoch eher wenig mit ihm zu tun, was ich einerseits gut und andererseits schlecht fand. Gut, weil ich natürlich immer noch nicht so ganz wusste, was ich denn denken sollte, aber auch schlecht, weil ich immer noch das Gefühl hatte, seine Nähe beinahe physisch zu brauchen. Als es jedoch dann wirklich darum ging, in einer Art kleinem Turnier gegen die anderen Mannschaften anzutreten, stellte sich heraus, dass Jake und ich im Spiel echt ein gutes Team darstellten. Irgendwie wusste ich meistens, was er gerade vorhatte oder welche Idee ihm für einen spontanen Angriff gekommen war und auch er schien meine Absichten ziemlich oft vor den anderen erahnen zu können.

Das alles endete damit, dass wir vier unserer fünf Spiele gewinnen konnten und irgendwie war ich nach dieser Stunde so gut drauf, dass ich auch freudig in Jakes Hand einschlug, als er sie mir zum Abklatschen hinhielt. Ich sah ihm kurz in die Augen und fragte mich, ob meine im Moment denn auch so funkelten wie seine. Das Grinsen, das sich auf seinem Gesicht ausgebreitet hatte, spiegelte sich mit Sicherheit auf meinem wieder, das stand eigentlich außer Frage.

Unsere Sportstunde war – leider – heute viel zu schnell zu Ende und da Dana nun eine Freistunde hatte und währenddessen nach Hause fuhr, wartete ich vor der Sporthalle auf Jake. Ich wollte wissen, ob er nicht vielleicht eine Idee hatte, was wir unseren Freunden erzählen konnten, ohne dass zu viele Fragen offenblieben. Jake war allerdings sichtlich erstaunt, als er aus der Sporthalle trat und mich neben der Tür auf ihn warten sah.

„Hey", meinte er mit einem leichten, fragenden Unterton in der Stimme, aber an seinem zarten Lächeln konnte ich erkennen, dass er sich freute, mich hier auf ihn warten zu sehen.

„Hey", antwortete auch ich und konnte gar nicht anders, als auch ein wenig zu lächeln. Nachdem wir ein paar Meter nebeneinander her auf das Schulgebäude zugegangen waren, warf ich ihm noch einmal kurz einen Seitenblick zu und ergriff dann wieder das Wort. „Hast du heute Nachmittag schon etwas vor? Ich habe nämlich ehrlichgesagt doch noch ein paar Fragen an dich."

Vorsichtig wandte ich Jake wieder meinen Kopf zu und begegnete prompt seinen grünlichen Augen, die mich neugierig anblickten. An Jakes leicht angestrengtem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er offensichtlich versuchte, herauszufinden, was ich denn so dachte und vorhatte, aber ich hatte nicht vor, ihm das jetzt schon direkt zu sagen. Dass ich natürlich jetzt noch nicht wirklich so weit war, ihm zu verzeihen, war ihm meiner Meinung nach wahrscheinlich klar, sonst hätte ich meinen Vorschlag anders formuliert und nicht davon gesprochen, ihm einige Fragen stellen zu wollen.

„Klar", antwortete Jake, ließ sich aber nicht genau anmerken, was er wirklich dachte. Das wiederum regte mich ein wenig zum Nachdenken an, weil es mich wirklich ziemlich wurmte, aus Jakes Verhalten nicht mehr wie aus einem offenen Buch lesen zu können.

„Was hältst du davon, wenn wir uns im Park treffen oder so? Bei dem Wetter im Moment ist es da wirklich immer schön." Ich nickte und bejahte damit Jakes Frage, auch wenn bei seiner Erwähnung des Parks direkt wieder Bilder unseres ersten „Kusses" in eben diesem Park in meinem Gedächtnis aufflammten. Ich fragte mich kurz, ob es ihm genauso ging und nach einem weiteren Blick auf ihn stellte ich fest, dass er mit einer ziemlich angestrengt aussehenden Miene geradeaus starrte. Und auch wenn diese Mimik natürlich auch einen ganz anderen Grund haben könnte, war ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass mein Gesichtsausdruck seinem glich in meinem Bemühen, mich nicht zu sehr von den Erinnerungen ablenken zu lassen.

Kurze Zeit später trafen wir dann aber auch schon in der Cafeteria ein, in der unsere Freunde auf uns warteten und Jo verwickelte mich sofort in ein Gespräch, sodass ich mich tatsächlich erst einmal wieder auf etwas anderes konzentrieren konnte.

Als ich dann zuhause nach der Schule in meinen WhatsApp-Chats nach der Konversation mit Jake suchte, stellte ich fest, dass er eigentlich schon ziemlich weit in meiner Kontaktliste nach unten gerutscht war und das stimmte mich irgendwie ein wenig traurig. Zu einer positiveren Stimmung trug auch nicht wirklich bei, dass mein Herz sich mit einem kurzen Stich bemerkbar machte, als mir auffiel, dass das rote Herz neben seinem Namen fehlte – klar, ich hatte es vor ein paar Tagen aus einer Kombination von Frust und Schmerz entfernt.

Das hielt mich natürlich jedoch nicht davon ab, den Chat zu öffnen und ihn kurz zu fragen, ob so circa fünf Uhr für unser Treffen okay wäre. Jake antwortete ziemlich direkt, denn kaum hatte ich mein Handy auf den Schreibtisch neben mir gelegt, da vibrierte es schon wieder und zeigte mir eine neue Nachricht von Jake an, in der er mir sagte, dass die Uhrzeit für ihn vollkommen okay sei. Ich überlegte kurz. Bis zum Park brauchte ich vielleicht so eine Viertelstunde, also hatte ich jetzt noch genug Zeit, um mit der Vorbereitung für das Geschichte-Referat anzufangen, das ich in der nächsten Stunde halten sollte.

Glücklicherweise fielen mir Referate oder auch andere Präsentationen immer ziemlich leicht und so hatte ich eigentlich ziemlich schnell mein Konzept aufgestellt und sogar schon ein wenig mit der Ausarbeitung angefangen, als ich dann so etwa 20 Minuten vor fünf meine Schulsachen weglegte und nach unten ging, um meine Jacke zu holen. Ich verabschiedete mich noch kurz von meinen Eltern, dann verschwand ich aus dem Haus und machte mich auf den Weg in besagten Park, der nun als mein und Jakes Treffpunkt dienen sollte.

PretendingWhere stories live. Discover now