Chapter 29

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Das seltsame Gefühl verschwand, als wir auf dem Weg zum Park immer mehr Leuten begegneten, von denen die meisten uns freundlich anlächelten. Zuerst überlegte ich wieso, aber dann fiel mir ein, dass es wahrscheinlich wegen Jakes und meinem Größenunterschied war oder auch mit der Tatsache zusammenhängen könnte, dass ich ja Jakes für mich viel zu große Jacke trug. Das musste wahrscheinlich echt sehr absurd wirken, aber solange mir nicht mehr kalt war, war es mir egal. Ich hatte noch nie verstanden, warum manche Mädchen selbst, wenn es im Winter noch kälter als jetzt war, bauchfreie Oberteile anzogen und den ganzen Tag froren. Wo ist denn der Sinn davon, krank zu werden, nur um einmal (angeblich) gut auszusehen?

Die Sonne schien wieder etwas mehr, als Jake und ich den Park betraten, deswegen öffnete ich den Reißverschluss von Jakes Jacke, ließ sie aber trotzdem noch an. Jake lächelte. Wir hatten auf dem Weg nach hier kaum ein Wort miteinander geredet, aber das Schweigen war auch nicht unangenehm gewesen. Im Gegenteil, ich hatte es wirklich als angenehm empfunden, neben Jake herzugehen, aber trotzdem seinen eigenen Gedanken nachhängen zu können. Und ein Gedanke war mir nicht aus dem Kopf gegangen, der eigentlich schon seit gestern in meinem Kopf herum gespukt hatte.

„Jake?" Jake wandte mir aufmerksam seinen Blick zu.

„Ja, Claire?"

„Du warst gestern so ehrlich zu mir, also will ich auch ehrlich zu dir sein." Fragend zog Jake seine Augenbrauen zusammen, sagte aber nichts, sondern schaute mich lediglich weiterhin an. Ich sprach also einfach weiter. „Du musst wissen, dass ich dich früher echt überhaupt nicht gemocht habe. Klar, ich hatte vor Ians Party noch nicht einmal wirklich mit dir geredet, aber trotzdem hatte ich mir eine Meinung über dich gebildet. Und die war echt nicht gut. Ein paar meiner Freunde – Jo zum Beispiel – haben wenigstens manchmal ein paar positive Dinge erzählt, aber die habe ich immer direkt abgetan und meine Freunde an deine Arroganz erinnert, die ich so gehasst habe. Das tut mir echt, echt leid. ich habe eigentlich immer Leute verabscheut, die über andere urteilen, bevor sie sie kennen. Ich weiß auch nicht genau, warum ich es dann trotzdem getan habe."

Vorsichtig und unsicher sah ich Jake wieder an. Während ich geredet hatte, hatte ich versucht, seinen Blick soweit es ging zu ignorieren und an ihm vorbei zu schauen. Einen kleinen qualvollen Moment lang dachte ich, ihn würde gar nichts von dem, was ich gesagt hatte, so richtig interessieren, aber dann öffnete er doch den Mund.

„Claire", sagte er mit so einer sanften Stimme, dass ich mich echt kurz fragte, ob es Jake – der Jake, den alle kannten – war, der da mit mir sprach. „Ich mache dir doch keinen Vorwurf. Ich kann, um ehrlich zu sein, sogar verstehen, dass du so von mir gedacht hast. Ich habe es nun wirklich niemandem leicht gemacht, der nicht in unserer Clique war."

„Das ist trotzdem keine Entschuldigung dafür, dass ich dich so verabscheut habe." Es tat mir wirklich leid und nachdem ich mir das endlich einmal von der Seele geredet hatte, ging es mir wenigstens ein bisschen besser. Seit Jake meine Frage nach seiner Arroganz so ehrlich beantwortet hatte, war mir der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf gegangen, dass ich ihn ja wirklich so total verabscheut hatte.

„Es ist wirklich okay, Claire. Wir alle machen einmal Fehler. Ich habe mich unmöglich verhalten und du hast mich wegen meines Verhaltens überhaupt nicht gemocht. Ich denke, wir sind jetzt quitt."

„Quitt?" Irgendwie konnte ich nicht so ganz glauben, was Jake da sagte. Erstmal war er überhaupt nicht sauer und dann zeigte er noch so viel Verständnis für mein Verhalten. Wie konnte ich diesen Menschen nur einmal nicht gemocht haben? Es war mir echt ein Rätsel.

„Naja, mir ist kein besseres Wort eingefallen", meinte Jake und grinste mich schief an. „Also? Quitt?"

„Ja", sagte ich und musste auch lächeln. „Ja, wir sind quitt."

„Dann lass uns weitergehen", antwortete Jake immer noch lächelnd und wir begannen wieder durch den Park zu spazieren, dabei war mir nicht einmal aufgefallen, dass wir während unseres Gesprächs stehen geblieben waren.

Wir setzten uns noch einige Zeit lang auf eine Bank am Teich, der mitten im Park lag, genossen die Sonne und redeten. Es war echt verrückt, wie sehr ich die Zeit mit ihm hier im Park genoss und wie froh ich war, dass ich Jake erzählt hatte, was mich bedrückt hatte. Anscheinend konnten wir jetzt schon über alles reden, obwohl wir ja erst seit kurzem etwas miteinander zu tun hatten.

Nach einiger Zeit machten wir uns dann aber auch wieder auf den Weg zum Haus von Jakes Familie, immerhin wollte Amber noch einmal aus irgendeinem Grund mit uns reden. Um ehrlich zu sein war ich ziemlich neugierig, da ich echt nicht den blassesten Schimmer hatte, was sie sagen wollte. Gerade wollte ich Jake fragen, ob er denn wüsste, was seine Mutter meinte, da blieb er auf einmal stehen.

„Oh nein", sagte er und ich merkte, wie sich seine Hand um meiner ein wenig verkrampfte.

„Was ist denn?", fragte ich besorgt und sah ihn an, doch er starrte nicht in meine Richtung, sondern ein wenig weiter nach rechts in Richtung der Wiese, die neben dem Teich lag, an dem wir eben noch gesessen hatten. Selbst beim besten Willen konnte ich nichts Besonderes entdecken, das so Jakes Aufmerksamkeit auf sich hätte ziehen können. „Jake, was ist denn los?", sagte ich also noch, um meine Frage zu konkretisieren. Wenn ich ehrlich war, jagte es mir sogar ein wenig Angst ein, wie Jake gerade reagierte. „Jake!"

Endlich wandte er mir seinen Blick zu. Erwartungsvoll blickte ich ihm in die Augen, in der Hoffnung, dass ich aus ihnen irgendwie herauslesen konnte, was los war, oder er es mir sagen würde. Jakes nächste Worte verwirrten mich aber zu sehr, als dass ich noch länger darüber nachdenken konnte.

„Du musst mich jetzt küssen, Claire." Mein Gehirn konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Was sollte das denn jetzt auf einmal? Warum sagte Jake so etwas? Warum um Himmels Willen sollte ich ihn küssen?

„Ich weiß, das klingt wahrscheinlich verrückt und absurd, aber du musst mir glauben. Ich erkläre es dir gleich." Wahrscheinlich? Total! Ich wollte ihm schon meine Meinung sagen und fragen, was genau er sich denn dabei dachte, aber da schloss Jake schon seine Augen und meine Worte blieben mir im Hals stecken, als er langsam seinen Kopf zu meinem herunter neigte. Und als er dann seine Lippen auf meine drückte, vergaß ich, wie man atmete.

PretendingWhere stories live. Discover now