Chapter 47

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„Ich muss ein wenig ausholen, bevor ich dir erkläre, warum ich hier bin, okay? Damit du auch den Hintergrund verstehst", sagte Emily und sah mich fragend an. Ich nickte zwar als Antwort, aber es gab doch einige Fragen, die in meinem Kopf herum spukten. Womit ausholen? Und was für einen Hintergrund meinte sie nur?

„Okay gut." Sie holte tief Luft. „Ich weiß natürlich nicht so ganz genau, was Jake dir schon von mir erzählt hat, nur so ungefähr, deswegen erzähle ich einfach einmal alles. Falls zwischendurch irgendetwas unverständlich klingen sollte – weil ich irgendetwas vergessen habe oder so – dann sag mir bitte Bescheid, ich finde es immer noch nicht so einfach, über das alles zu reden."

Sie sah mich mit einer ernsten Miene an und ich lächelte ihr mitfühlend zu. So grob wusste ich ja wirklich schon, was sie über ihre Freundschaft mit Jake erzählen wollte, und ich konnte mir vorstellen, dass das jetzt immer noch kein leichtes Gesprächsthema für sie war. Emily holte noch einmal tief Luft, dann sprach sie weiter.

„Du solltest wissen, dass Jake und ich wirklich die besten Freunde waren, die man sich vorstellen konnte. Er war wie ein Bruder für mich, ich wie eine Schwester für ihn. Und auch wenn die meisten unserer Freunde uns immer damit aufgezogen und gefragt haben, warum wir nicht zusammen wären, war einfach nie etwas Romantisches zwischen uns."

Auf einmal lachte sie kurz und brachte mich damit ein wenig aus dem Konzept, weil ich wieder einmal angestrengt versucht hatte, aus ihren Worten herauszulesen, weshalb sie denn hier war und was sie mir sagen wollte – denn ich wusste ja schon, dass Jake und sie sehr gut befreundet gewesen waren.

„Sorry, dass ich lache", meinte sie und sah mich wieder ernst an, sie hatte wohl meinen komplett verwirrten Gesichtsausdruck bemerkt. „Es kommt mir nur so komisch vor, mit dir über Jake zu reden. Ich erkläre dir schon noch wieso."

„Okay?", sagte, beziehungsweise fragte ich eher und ärgerte mich, dass ich immer noch so verwirrt klang. Andererseits – sie war diejenige, die aus heiterem Himmel bei mir aufgetaucht war und mir immer noch nicht genau gesagt hatte, weshalb und was das mit mir oder Jake zu tun hatte. Ich hatte also eigentlich echt jedes Recht dazu, durcheinander zu sein.

„Sorry, ich komme jetzt mal zum Punkt. Da Jake und ich wie gesagt wirklich nur Freunde waren, gab es eigentlich kein Problem dabei, dass ich irgendwann mit Dylan, einem von Jakes Kumpeln zusammengekommen waren. Jake hat mich noch vor ihm gewarnt, mir gesagt, dass er mich nur ausnutzen würde, aber ich habe ihm – dumm wie ich war – nicht geglaubt. Dylan schien mich wirklich zu lieben und ich liebte ihn, eigentlich war alles perfekt. Bis sich dann herausstellte, dass Jake doch Recht behalten hatte – natürlich hatte er das, er hatte Dylan schon viel länger und besser gekannt als ich es tat."

Auch wenn die Worte nun beinahe aus Emily heraus zu fließen schienen, merkte ich, wie schwer es ihr doch fiel, ihre ganzen Gedanken und Gefühle der Situation mit Dylan mir gegenüber in Worte zu fassen und die Tatsache, dass sie es doch tat, damit ich verstehen würde, was sie mir denn sagen wollte, ließ sie irgendwie ziemlich sympathisch erscheinen. Nichtsdestotrotz hatte ich so meine Vorbehalte gegen sie, da ich einfach nicht wusste, wie ich sie und dass, was sie mir zu erzählen versuchte, einordnen sollte.

„Jedenfalls hat Dylan mich wirklich nur total ausgenutzt und um es kurz zu fassen, er hat mich damit einfach total verletzt. Nicht nur hatte er sich dann von mir abgewandt, auch die Leute, die ich eigentlich meine Freunde genannt hatte, wollten nichts mehr mit mir zu tun haben, weil Dylan ihnen wohl irgendwelche Lügen über mich aufgetischt hatte. Klar, ich hätte die Situation klarstellen können, aber zu dem Zeitpunkt war ich kurz und knapp emotional einfach noch nicht in der Lage dafür, eben weil er mich so verletzt hatte. Und ich war ja nicht vollkommen alleine, ich hatte immer noch Jake, der Dylans Lügen natürlich nicht geglaubt hatte und immer noch zu mir hielt, was mir echt guttat. So weit, so gut, meine Eltern und ich sind allerdings kurz nach diesem ganzen Vorfall umgezogen. Versteh mich nicht falsch, sie haben das nicht wegen mir gemacht, sondern hatten das schon viel früher geplant, allerdings hatte ich nach dieser ganzen Dylan-Sache doch nichts mehr dagegen. Also sind wir umgezogen und ich hatte zum Glück nichts mehr mit den Leuten zu tun, die mir alle den Rücken zugewandt hatten." Sie holte tief Luft, dann legte sie eine kurze Pause ein, lächelte mich ein wenig zittrig an und nahm einen Schluck von ihrem Wasserglas, ehe sie weitererzählte.

„Jake und ich hatten natürlich immer noch Kontakt, auch wenn wir uns nicht mehr jeden Tag sahen, aber irgendwann wurde auch das immer weniger. Ich muss zugeben, das lag beinahe ausschließlich an mir, aber ich wollte ein für alle Mal mit diesem Teil meines Lebens abschließen. Klar, das klingt vielleicht komisch, weil ich erst sechzehn war und schon einen Teil meines Lebens vergessen wollte, aber es ging mir nach dem Umzug echt gut und so viel mir Jake auch als mein bester Freund und der Einzige, der zu mir gehalten hatte, bedeutete, so sehr erinnerte er mich auch immer wieder an die Dinge, die geschehen waren. Also habe ich irgendwann den Kontakt abgebrochen." Sie atmete noch ein weiteres Mal tief durch und sah mich an.

„Einen ganzen Teil davon kanntest du wahrscheinlich schon von Jake, oder?" Ich nickte und sie lächelte, diesmal wirkte ihr Lächeln auch nicht so verkrampft. „Ja, ich habe mir schon gedacht, dass er dir davon erzählt, immerhin klang es so, als hättest du ihn wirklich durchschaut." Diese weitere Äußerung von Emily verwirrte mich allerdings wieder ziemlich.

„Tut mir leid, wenn ich nicht ganz mitkomme", begann ich, „aber woher meinst du zu wissen, dass ich ihn vielleicht durchschaut habe? Ich dachte, ihr hattet schon seit einiger Zeit keinen Kontakt mehr."

„Das stimmt, aber vor ein paar Tagen hat Jake mir noch einmal kurz geschrieben, immerhin hatten wir immer noch die Nummern des jeweils anderen. Er meinte, dass es nicht schlimm sei, wenn ich nicht antworten würde, aber er Mist gebaut hätte und nicht wüsste, wem er denn sonst davon erzählen könnte. Es klang wirklich so, als wisse er nicht mehr weiter und ehrlichgesagt bin ich auch neugierig gewesen. Also habe ich ihn angerufen und wir haben uns einen Tag später getroffen. Und er hat mir alles erzählt." Das Wort alles betonte Emily besonders stark und sah mich bedeutsam an, sodass ich mich wirklich zu fragen begann, was genau alles denn war.

„Was meinst du denn genau mit alles? Was hat dir Jake – was hat er dir erzählt?" Ich biss mir auf die Lippe. Ich wollte Emily durch mein Verhalten ja nicht zu viel verraten, aber Jakes Namen auszusprechen, besonders wenn es um das ging, was er getan hatte, fiel mir immer noch verdammt schwer.

„Er hat mir von eurer Beziehung erzählt, beziehungsweise von eurer Fake-Beziehung und wie ihr es geschafft habt, alle hinters Licht zu führen, eure Eltern, eure Freunde, Jakes restliche Verwandte. Er hat mir auch erzählt, dass ihr wirklich gute Freunde geworden seid und echt viel Zeit miteinander verbracht habt – jedenfalls bis er Mist gebaut hat." Emilys Worte stimmten mich nachdenklich, da ich überlegte, warum genau Jake denn die Worte „Mist gebaut" benutzt hatte, denn wenn ich das richtig interpretierte, was Emily sagte, dann meinte sie mit „Mist gebaut" die Situation, in der Jake zu mir gemeint hatte, dass wir uns nicht häufiger als absolut nötig sehen müssten.

„Sei mir nicht böse, aber ich verstehe noch nicht so ganz, warum du mir das alles erzählst. Wenn Jake dir erklärt hat, was alles genau passiert ist, dann müsstest du doch eigentlich wissen, dass..." Dass er nichts mehr mit mir zu tun haben möchte. Diese restlichen Worte blieben mir im Hals stecken. Ich schaffte es einfach nicht, dass auszusprechen, was ich dachte.

Ein unzähliges, weiteres Mal dachte ich darüber nach, weshalb Jake sich nun mal so verhielt, wie er es tat, und welche Rolle Emily nun spielte. Immerhin ist es nicht alltäglich, dass die ehemalige beste Freundin deines Fake-Freundes, in den du dich verliebt hast und der nun aber nichts mehr mit dir zu tun haben will, an deiner Haustür klingelt und auf einmal über den Typen reden will, der dich so verletzt hat. Emily musste mir also definitiv noch mehr Antworten geben, ehe ich vielleicht ein klitzekleines bisschen von dem allen, was in meinem Leben gerade so ablief, verstehen würde.

PretendingWhere stories live. Discover now