Chapter 12

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„Sie wird mich heute sowas von ausfragen und mir stundenlange Vorträge darüber halten, wie süß es war, dass du mir den Ordner abgenommen hast", sagte ich zu Jake, nachdem Jo außer Hörweite war. Jake zuckte mit den Schultern.

„Solange sie uns glaubt."

„Ich hoffe jedenfalls, dass sie das auch nach heute Nachmittag noch wird. Ich darf mich nur nicht verzetteln oder irgendetwas sagen, das nicht zusammen passt."

„Soll ich vorbeikommen? Würde das irgendwie helfen?" Schon wieder überraschte mich das, was Jake sagte, aber diesmal ließ ich es mir nicht anmerken.

„Danke, aber ich glaube gerade das würde sie misstrauisch machen. Erinnere mich nur bitte dran, dass ich dir erzähle, was ich ihr gesagt habe. Unsere Geschichten müssen ja zusammen passen."

„Mache ich", antwortete Jake und auch wir machten uns auf den Weg in die Schule, wobei er immer noch meinen Ordner trug.

Generell lief der Tag heute ziemlich ähnlich wie der davor ab. In der ersten Pause saßen Jake und ich bei meiner Clique, in der zweiten bei seiner und ich begann darüber nachzudenken, wie viel schöner es wäre, wenn unsere Cliquen sich gegenseitig akzeptieren und mögen würden. Mir fiel außerdem auf, dass ich bis auf Sport kein einziges Fach mit Jake zusammen hatte und Sport hatten wir sowieso nur einmal pro Woche. Zum Beispiel heute.

In der letzten Schulstunde des Tages versammelte sich also mein Sportkurs auf dem Außenplatz der Schule, da wir Leichtathletik als Thema hatten und uns laut unserem Sportlehrer heute dem Ausdauerlauf widmen wollten. Als dieser das in der letzten Stunde verkündigt hatte, hatten die meisten nur gestöhnt und gemotzt, aber ich hatte mich eigentlich echt gefreut.

Im Gegensatz zu den meisten meiner Mitschüler hatte ich nichts gegen Laufen, ich mochte das Gefühl einfach total, vor allem, wenn man dann auch noch Wind in den Haaren spüren konnte. Zusätzlich dazu war unser Sportlehrer auch noch ziemlich cool und ließ uns beim Laufen auch meist Musik hören, was mich genau wie heute immer noch mehr motivierte.

Schon an der Startlinie scrollte ich durch meine Playlist, suchte eins meiner Lieblingslieder heraus und stopfte mir einen Ohrstöpsel ins Ohr, während ich auf Josh wartete, da wir die beiden einzigen aus unserer Clique waren, die zusammen Sport hatten. Auf Jake musste ich diesmal keine Rücksicht nehmen, da er bei ein paar seiner Kumpels stand und man selbst als (angebliches!) Paar meiner Meinung nach trotzdem nicht jede freie Minute zusammen hängen musste.

„Lauf du nur schon mal los, Claire", meinte Josh, als er sich noch mit seinen Kopfhörern kämpfend zu mir gesellte. „Du hängst mich doch sowieso im Nu ab." Er grinste und ich grinste zurück. Ich wusste, dass ich eine gute und schnelle Läuferin war, aber ich war niemand, der damit herum prahlte, also nickte ich nur und steckte mir noch den zweiten Ohrstöpsel ins Ohr. Ich atmete tief durch und lief los.

Schon in den ersten paar Sekunden, die ich lief, merkte ich, wie sehr mich doch das Gefühl entspannte, meine Muskeln zu bewegen. Andere mochten Yoga, ich nun mal Laufen. Auch wenn ich normalerweise lieber im Wald lief, nahm ich mir viel zu selten die Zeit dazu und deswegen fand ich auch das im Prinzip sture Laufen im Kreis okay.

Nach ein paar Runden hatte ich mich dann völlig in der Musik verloren und merkte erst gar nicht, dass sich mir jemand von hinten genähert hatte, bis mir der rechte Kopfhörer aus dem Ohr gezogen wurde und eine Stimme „Hey, Claire" sagte.

„Hi, Jake", gab ich zurück und stopfte den Kopfhörer, den er mir rausgezogen hatte, in den Ausschnitt meiner schwarzen Trainingsjacke, die ich trug. Auch Jake hatte nur einen Kopfhörer im Ohr, allerdings den rechten, sodass wir uns problemlos unterhalten konnten. Jedenfalls taten wir das am Anfang ein wenig, aber dann konzentrierten wir uns beide nur weiter auf unser Atmen, um nicht aus dem Takt zu kommen.

Jake und ich hatten erstaunlicherweise exakt denselben Laufstil und so war auch unser Rhythmus gleich und wir liefen den Rest der Stunde nebeneinander her, mittlerweile wieder beide mit beiden Kopfhörern im Ohr. Irgendwie fand ich es fast schon eine Ironie des Schicksals, dass wir so viel gemeinsam hatten, obwohl ich immer felsenfest davon überzeugt gewesen war, dass es sich bei Jake Stewart um einen arroganten Macho handelte.

„Noch drei Minuten laufen!", rief unser Lehrer über den Platz und ich sah Jake von der Seite an und merkte, dass er dasselbe dachte. Mein Ehrgeiz war geweckt und anscheinend auch seiner, also beschleunigte ich meine Schritte etwas. Natürlich war ich nach dem ganzen Laufen schon etwas außer Atem, aber einen kleinen Endspurt konnte ich noch hinlegen.

Jake allerdings auch und er grinste ein wenig selbstgefällig, als er langsam aber stetig an mir vorbei zog. Na warte, dachte ich mir und brachte meine letzten Kraftreserven auf, um wieder zu ihm aufzuschließen, was mir letztendlich doch noch - allerdings nur unter einiger Anstrengung - gelang.

„Okay Leute, das war's!", rief unser Sportlehrer wieder über den Platz, aber Jake und ich waren gerade auf die Zielgerade eingebogen und es war klar, dass keiner von uns nachgeben wollte. Bis kurz vor der Ziellinie waren wir noch gleichauf, aber dann lief Jake sich in den letzten 30 Metern doch noch einen kleinen Vorsprung heraus und gewann unser kleines Wettrennen.

Nach Luft schnappend kam ich dann kurz nach ihm zum Stehen und stützte meine Hände auf meine Knie, um besser durchatmen zu können. Die letzten paar Minuten im Wettkampf gegen Jake waren echt anstrengend gewesen, er war echt ein verdammt guter Läufer, das musste ich wirklich zugeben.

„Gut gelaufen", keuchte ich Jake zu, der auch total außer Atem auf und ab lief, da man sich ja nach totaler Anstrengung nicht direkt hinlegen oder -setzen sollte.

„Danke, du aber auch. Du bist verdammt schnell", gab er zurück und ich muss schon sagen, dass seine Stimme so kratzig, wie sie jetzt nach dem Laufen war, echt verdammt gut klang.

„Danke", antwortete ich. Als ich die Muskeln in meinen Beinen wenigstens wieder ein bisschen spüren konnte und mich wieder aufrichtete, sah ich, dass uns die anderen Schüler und selbst unser Lehrer während unseres Endspurts beobachtet hatten, was mir irgendwie ein wenig unangenehm war. Ich strich mir die Haare, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst hatten, aus dem Gesicht und bedeutete Jake mit einer Kopfbewegung, mir an den Rand des Sportplatzes zu folgen, an dem die anderen immer noch auf uns warteten.

PretendingWhere stories live. Discover now