Chapter 40

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„Hallo ihr beiden!", rief Toby, der uns dieses Mal anstelle von Ian die Tür öffnete. Wir folgten ihm ins Haus und sahen dort schon unsere ganzen Freunde (und Jakes Freunde) im Wohnzimmer in einem Kreis sitzen. Erstaunt und verwirrt sah ich zu Ian, der immerhin hier wohnte, aber der schüttelte grinsend den Kopf.

„Keine Sorge, ihr seid nicht zu spät. Die meisten anderen waren nur beinahe schon zu früh, anscheinend freuen sich alle auf unsere legendäre Wahrheit oder Pflicht-Runde." Sein Kommentar brachte mich zum Lachen, aber dann begrüßte ich genau wie Jo noch kurz die anderen, ehe ich mich dann als letztes Jake zu wandte, der mir schon lächelnd entgegenblickte.

„Hey", meinte ich und setzte mich dann neben ihn, ehe ich mich zu ihm beugte und ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen gab. Ich war ehrlich gesagt selbst ein wenig erstaunt von mir, dass ich ihn einfach so zur Begrüßung geküsst hatte, aber das hätten normale Paare getan und auch wenn Jake mich kurz ein wenig verdutzt anschaute, legte sich seine Verwirrung beinahe sofort wieder und er strich mir eine Haarsträhne hinter die Ohren, so als wäre dies das Natürlichste der Welt.

Ich lächelte leicht und konnte nicht anders, als an unseren Kuss im Park zurückzudenken. Irgendwie kamen mir seit eben diesem Tag die ganzen für richtige Paare normalen Dinge wie Händchen halten, umarmen oder küssen total normal vor, weshalb ich über diesen Kuss wirklich nichts sonderlich nachgedacht hatte, so seltsam es auch klingen mochte.

„Okay ihr zwei, seid ihr dann auch mal soweit?", sagte Ian auf einmal belustigt und Jake und ich wandten uns ihm zu.

„Ach", machte Jake, „ich darf sie nicht küssen?" Er zog die Augenbraue hoch und blickte wieder zu mir, während ich mich nur fragte, warum er denn davon redete, mich zu küssen, wo ich ihm doch zur Begrüßung einen Kuss gegeben hatte. Als er sich dann aber wieder zu mir beugte und die Augen schloss, wurde es mir klar, denn er küsste mich einfach nochmal, wie, um Ian etwas zu beweisen.

Als er sich wieder von mir löste, musste ich irgendwie lachen. Jake stimmte mit ein und auch Ian lachte, aber dann wurde sein Gesichtsausdruck wieder zu der für ihn typischen Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor. Mir war klar, dass Ian nun irgendetwas sagen wollte, um das Spiel beginnen zu lassen, aber ich konnte ihm gar nicht richtig zu hören, weil mein ganzes Gehirn irgendwie noch total auf Jake fokussiert war.

Dieser lehnte sich zu mir rüber, brachte seinen Mund in die Nähe meiner Ohren und flüsterte mir „Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden" zu. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, weil sein Mund sich so nah an meinem Ohr befand, dass ich seinen Atem auf meinem Nacken spüren konnte. Warum hatte er mittlerweile nur so einen Effekt auf mich? Und was genau meinte er überhaupt mit dem, was er da gerade gesagt hatte?

Natürlich konnte man seinen Spruch auf den Schlagabtausch zwischen ihm und Ian beziehen, aber er hatte es ja nicht laut gesagt, sondern absichtlich nur mir zugeflüstert, so als wäre es etwas Besonderes, etwas, das auch wirklich nur ich wissen dürfte. Und irgendwie machte mich das glücklich.

„Claire!" Die Stimme von Ian riss mich wieder effektiv aus meinen Gedankengängen heraus.

„Ja?"

„Wahrheit oder Pflicht? Ich habe dich das schon einmal gefragt, aber irgendwie hast du nicht zugehört."

„Sorry Ian", sagte ich und wägte dann kurz meine Optionen ab. Wenn ich Wahrheit wählen würde, würde er mich wahrscheinlich irgendetwas über Jake oder unsere Beziehung fragen, aber würde ich Pflicht nehmen, so würde er – und da war ich mir sicher – eine wirklich total peinliche Aufgabe für mich aus seinem Kopf zaubern. Aber dann machte ich doch lieber etwas total Peinliches, als lügen zu müssen.

„Pflicht", sagte ich also so selbstbewusst, wie ich es bei den Zweifeln, die ich hatte, denn tun konnte. Ian blickte mich verwundert an und auch Jake warf mir einen kurzen Seitenblick zu, was ich aus meinem Augenwinkel feststellte. Ich versuchte, mich daran nicht weiter zu stören und ihn einfach auszublenden, was mir – natürlich – nicht gelang.

Ian ließ seinen Blick nachdenklich über den Kreis von Leuten wandern und ich tat es ihm gleich. Während er sich allerdings wahrscheinlich Gedanken über meine bevorstehende Pflicht machte, dachte ich darüber nach, wie schön es war, dass nun auch so viele aus Jakes Clique bei uns saßen. Eigentlich, so überlegte ich, konnte man gar nicht mehr von Jakes oder meinen Freunden sprechen, wir waren irgendwie zu einer neuen, anderen Clique zusammengewachsen.

Nicht alle von Jakes ehemaligem Freundeskreis kamen mit uns klar, so hatten zum Beispiel Dylan – der blonde Typ, der mich einmal als hübsch bezeichnet hatte –, ein Freund von ihm und mit ihnen zwei Mädchen den Kontakt zu Jake und den anderen fast komplett abgebrochen. Zuerst hatte ich deswegen ein ziemlich schlechtes Gewissen gehabt, aber nachdem ich Jake von meinen Gedanken erzählt hatte, hatte dieser mir mit einem leichten Lächeln gesagt, dass ich erstens an dem Verhalten von Dylan und seinen Freunden keine Schuld hätte und Jake und seinen wirklichen Freunden den anderen sowieso nicht hinterher trauerten.

„Also, Claire", begann Ian und holte mich so wieder aus meinen Gedanken heraus. Ich schaute wieder zu Ian und bemerkte, dass ich das Grinsen, welches sich langsam auf seinem Gesicht ausbreitete, nicht deuten konnte. Das konnte eigentlich nichts Gutes heißen.

„Ich möchte...", sagte er wieder und legte eine kurze Pause ein, um die Spannung zu steigern, „...dass du und Jake eure Oberteile tauscht." Ich schnappte nach Luft, während alle anderen – Jake natürlich ausgeschlossen – in Gelächter ausbrachen.

„Das mache ich nicht", sagte ich, während ich merkte, wie Jake mich von der Seite ansah. „Machen wir nicht", korrigierte ich meine Aussage.

„Claire, du kennst die Regeln", begann nun auch Jo, wofür sie sich einen wirklich bösen Blick von mir einfing. Als meine beste Freundin sollte sie eigentlich zu mir stehen, aber sie grinste mich und Jake einfach nur frech an. Zu ihrer Verteidigung musste ich allerdings zugeben, dass ich an ihrer Stelle auch hätte lachen müssen. „Du hast Pflicht gewählt und deswegen musst du sie auch ausführen", vollendete sie ihren Satz.

„Ich will das aber nicht", sagte ich und während ich das sagte, wurde mir klar, dass ich mich gerade wie ein stures Kleinkind benahm. Mein Widerstand gegenüber Ian und Jo begann also zu bröckeln, aber ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen. Eigentlich gelang mir das auch ziemlich gut, aber dann beugte Jake sich wieder zu mir herüber.

„Ist schon okay, Claire. Wir können das ruhig machen." Zweifelnd sah ich Jake an.

„Wirklich?"

„Wirklich." Ich seufzte.

„Okay", sagte ich laut und sah wieder von Jake weg in die Runde, nur um zu merken, dass uns sowieso alle beobachtet hatten. „Wir tauschen unsere Oberteile." Ohne weitere Worte stand ich auf, während Jake es mir gleichtat und mir folgte. Ein paar unserer Freunde sahen uns ungläubig, aber amüsiert an, während Ian sich für die ausgesuchte Pflicht feiern ließ. Na warte, dachte ich mir, dir wird das Lachen bei deiner Pflicht schon noch vergehen.

Ich führte Jake in das Badezimmer, das direkt an das Wohnzimmer, in dem wir uns ja alle befanden, angrenzte. Wenn wir schon unsere Oberteile tauschen mussten, dann natürlich nicht so, dass uns alle anderen sehen konnten, obwohl ich selbstverständlich auch nicht wollte, dass Jake sich mit mir zusammen in einem Zimmer befand, während ich mich umzog.

So ein verdammter Mist, warum hatte ich denn überhaupt Pflicht gewählt?

PretendingWhere stories live. Discover now