Chapter 36

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Jakes Blick, der meinem begegnete, als ich die Türe geöffnet hatte, konnte ich nicht so ganz deuten. Unsere Blicke waren sich aber auch nur für einen klitzekleinen Moment begegnet, dann hatte Jake weggeschaut und seinen Blick an mir herunter wandern lassen. Normalerweise hatte ich es immer als unangenehm empfunden, wenn Jungs einen so musterten, aber irgendwie kam es mir bei Jake wie ein Kompliment vor und außerdem konnte ich so auch gefahrlos Jake betrachten.

Er hatte ein im Prinzip schlichtes, weißes Hemd an, das er in eine elegante, dunkelblaue Hose gesteckt hatte. Um den Hals trug er eine zur Hose passende dunkelblaue Krawatte, allerdings war diese so locker gebunden, dass mir klar war, dass er sie eigentlich nicht hatte tragen wollen – vielleicht hatte seine Mutter Amber versucht, ihn dazu zu überreden. Er sah jedenfalls echt gut aus, ich konnte gar nicht anders, als das zuzugeben.

„Wow", flüsterte Jake sprachlos und seine Augen sahen wieder zu meinen hoch. Ein leichtes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, da Jake offenbar nicht wusste, was er sagen sollte. Mir ging es aber um ehrlich zu sein bei Jakes Anblick genauso, weswegen ich froh war, dass Jake noch etwas sagte und ich es nicht tun musste. „Du siehst echt wunderschön aus", flüsterte er, wodurch mein Lächeln nur noch größer wurde.

„Danke. Du siehst aber auch echt gut aus." Nun war Jake derjenige, der lächelte und wir starrten uns einfach nur an, jedenfalls bis sich jemand hinter uns räusperte – ob es Jo oder meine Mutter war, wusste ich wirklich nicht, ich hatte mich bedauerlicherweise viel zu sehr in Jakes Augen verloren.

„Stellt euch mal nebeneinander. Ich mache ein Foto von euch beiden." Das war ganz klar Jos Stimme und ich stellte mich neben Jake in unsere Einfahrt, der wie total selbstverständlich seinen Arm um mich herum an meine Taille legte. Und ich musste ehrlicherweise sagen, dass es sich nicht einmal komisch, sondern wirklich beinahe normal angefühlt hatte.

Jo schoss nicht nur ein Foto, sondern gleich mehrere aus verschiedenen Perspektiven und schien wirklich zufrieden mit ihren Ergebnissen zu sein. „Die sind voll süß!", rief sie aus und zeigte meiner Mutter die Bilder, die auch lächelte. Anscheinend waren die Bilder wirklich gut geworden.

„Na dann", sagte meine Mutter und blickte erst Jake und dann mich lächelnd an. „Jetzt wo wir Fotos von euch beiden gemacht haben, wollen wir euch nicht weiter aufhalten."

„Genau", schloss sich auch Jo meiner Mutter an und lächelte. „Habt Spaß."

„Danke, werden wir", sagte ich und war selbst von mir erstaunt, dass ich wirklich davon überzeugt war, mich mit Jake auf dieser Familienfeier zu amüsieren. Als meine Mutter die Tür hinter uns schloss, wandten wir uns vom Haus ab und zum ersten Mal fiel mir auf, dass natürlich nicht Jakes schwarzes Motorrad in der Einfahrt stand, sondern ein schwarzer Mercedes. Ich hatte Jake nicht extra darauf hingewiesen, aber es war ihm offensichtlich auch so klar gewesen, dass ich nicht mit Kleid auf sein Motorrad hätte steigen können und außerdem wäre die Gefahr, dass der Helm meine Frisur zerstörte, auch viel zu groß gewesen. Da Jake aber ja sowieso ein Gentleman zu sein schien, hatte er da natürlich selbst dran gedacht.

„Ist das das Auto deines Vaters?", fragte ich ihn, da ich wusste, dass er zwar den Autoführerschein hatte, aber selbst kein eigenes Auto besaß.

„Das meiner Mum. Sie braucht es ja nicht, da sie mit meinem Vater fährt, und hat es mir dann geliehen."

„Achso." Als wir an dem Auto angekommen waren, öffnete Jake mir galant die Beifahrertür und schloss sie wieder, als ich eingestiegen war. Während er um das Auto herum zur Fahrertür ging musste ich grinsen. Er war also wirklich zweifelslos ein Gentleman, nur war er in der Schule ziemlich gut darin, es zu verstecken.

„Ich bin echt froh, dass meine Mutter mir ihren Wagen geliehen hat", meinte er, als er eingestiegen war und den Motor startete. „Mein Vater liebt protzige Autos, aber mir gefällt das hier viel besser. Klar, es ist auch ein Mercedes, aber nicht ganz so auffällig und aufmerksamkeitserregend." Ich nickte zustimmend. Für einen Mercedes war dieser Wagen echt schlicht gehalten. Schlicht, aber definitiv elegant.

Während der Fahrt erklärte Jake mir, dass die Feier bei seinem Onkel und seiner Tante stattfinden würde, die ein wenig außerhalb wohnten. Nichtsdestotrotz dauerte die Fahrt nicht lange und schon bald hielten wir vor einem Haus, das man eigentlich schon gar nicht mehr Haus nennen konnte. Villa war da schon ein angemessenerer Begriff, da es selbst größer als das Haus meiner oder Jakes Familie war, und selbst unsere waren schon groß.

„Wie schon oft gesagt", begann Jake, der meinen Blick bemerkt hatte, „es wird eine sehr elegante Feier. Lass dich nicht einschüchtern."

„Ich versuch's?", sagte ich und musste aber ein wenig lächeln, legte aber fragend den Kopf schief, als Jake begann, an seiner ohnehin schon lockeren Krawatte herumzuziehen. „Was machst du?"

„Diese Krawatte ausziehen. Sie hat mich schon von vorneherein genervt und ich weiß gar nicht mehr genau, warum ich mich überhaupt von meiner Mutter habe überreden lassen, sie anzuziehen." Ich lachte. Genau das war der Jake, den ich kannte, und mit dem ich schon so viel gelacht hatte. Der Jake, mit dem ich auch gerne auf eine noch so protzige Familienfeier ging.

„Also", sagte er und sah mich wieder an, als er es endlich geschafft hatte, seine Krawatte loszuwerden. „Wir werden jetzt da rein gehen und Spaß haben."

Nickend stimmte ich ihm zu. „Das werden wir." Jake lächelte, dann öffnete er seine Türe um auszusteigen und ich tat es ihm gleich. Als wir wieder neben einander standen, griff Jake wieder wie selbstverständlich nach meiner Hand und ich musste sagen, dass mich dieser Kontakt noch etwas weiter beruhigte. Ich würde das schon schaffen und mich nicht vor Jakes Familie blamieren.

Jake führte mich nicht zur Haustüre der Villa, sondern rechts am Haus vorbei, sodass wir direkt in den Garten gelangten. Dort angekommen, musste ich mich erst einmal umsehen. Es waren zwei echt große „Zelte" aufgestellt worden, allerdings war ich mir nicht sicher, ob man sie überhaupt Zelte nennen konnte, da sie eigentlich gar keine Wände besaßen, sondern lediglich eine Art Dach um sich unterzustellen. In einem dieser „zeltartigen Gebilde" waren einige Tische mit Bänken aufgestellt und in dem anderen standen einige Stehtische.

Erstaunend fand ich auch, wie viele Leute schon in dem Garten versammelt waren. Jakes Familie musste wirklich doppelt so groß sein wie meine und wirklich alle sahen in ihren Hemden und Kleidern total elegant aus. Zu meiner großen Freude musste ich aber feststellen, dass ich mit meinem Kleid mit den Outfits der anderen Mädchen und Frauen locker mithalten konnte, ich war weder zu elegant angezogen, noch stach ich durch zu legerer Kleidung heraus, weswegen mir ein ziemlicher Stein vom Herzen fiel.

„Jake! Hallo! Lang nicht mehr gesehen!" Beim Klang der beiden Stimmen, die sich zu einer Begrüßung vermischten und hinter Jake und mir ertönten, begann Jake zu grinsen und drehte sich um. Ich atmete noch für den Bruchteil einer Sekunde durch und dann drehte auch ich mich – hoffentlich nicht allzu verkrampft lächelnd – zu den Stimmen um, während Jake wieder wie zur Beruhigung die Hand um meine Taille legte.

PretendingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt