Chapter 49

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Am Montagmorgen, als der Schulalltag wiederbegann, war ich immer noch nachdenklich gestimmt. Es beschäftigte mich nun immer mehr, was wohl Jakes Motive für sein Verhalten gewesen waren. Natürlich hatte ich auch schon unmittelbar nach diesem „Vorfall" darüber nachgedacht, aber auch wenn sich bei dem Namen Jake immer noch alles in mir zusammenzog, schaffte ich es wieder, das Ganze auch ein wenig rational zu betrachten. Obwohl ich leider trotzdem noch nicht wirklich Fortschritte darin machte, die Logik hinter Jakes (und auch Emilys) Verhalten zu begreifen.

Als ich aus dem Bus stieg, mit dem ich zur Schule gefahren war, und wieder einmal meine Freunde an der Schulmauer auf mich warten sah, fragte ich mich zum bestimmt zehnten Mal an diesem Tag, weshalb Jake denn diese Fake-Beziehung nicht komplett abgebrochen hatte – und weshalb ich es denn dann nicht tat. Letztendlich fiel mir die Antwort auf die zweite Frage doch ziemlich leicht, da ich mich einfach nicht in der Lage dazu sah, mit Jake reden zu können.

Gerade deshalb wunderte es mich generell, dass die anderen noch nicht bemerkt hatten, dass etwas zwischen Jake und mir nicht stimmte. Andererseits hatten sie uns für das so perfekte Paar gehalten, dass sie vielleicht gar nicht auf die Idee kommen würden, dass zwischen uns nicht mehr alles gut sein könnte. Und Jo – diejenige, die es vielleicht trotzdem bemerkte hätte – schwebte nun mal immer noch mit Marc auf Wolke sieben, was ich ihr definitiv nicht vorwarf.

Nichtsdestotrotz überstand ich auch diesen Tag den Umständen entsprechend ziemlich gut, da ich in einer der Pausen sogar gar nicht bei uns am Tisch saß, sondern einem Mädchen aus meinem Biologiekurs erklärte, was wir in der letzten Stunde gemacht hatten, in der sie nicht da gewesen war. So hatte ich also die perfekte Ausrede, nicht neben Jake sitzen zu müssen, was mir auch echt zugesetzt hätte.

Einen riesengroßen Schrecken bekam ich allerdings, als ich gerade aus dem Klassenraum trat, in dem ich meine letzte Unterrichtsstunde gehabt hatte, und an der Wand vor mir niemand anderes als Jake lehnte. Und offensichtlich schien er auf mich zu warten, denn keiner der anderen unserer Freunde hatten mit mir zusammen Geschichtsunterricht gehabt. Einen kurzen Moment lang verlangsamte ich meine Schritte, nicht sicher, wie ich mich nun verhalten sollte, aber dann ging ich an Jake vorbei.

Diese Situation hatte mich zu sehr an das erste Mal erinnert, als er mich kurz nach dem Beschluss unserer Fake-Beziehung vom Unterricht abgeholt hatte, und ich musste zugeben, dass dieses Déjà-vu mir schon weh tat. Jake wiederum ließ sich von meinem Verhalten nicht beirren und schloss sich mir auf meinem Weg aus dem Schulgebäude an, den ich eigentlich alleine hatte gehen wollen, da beinahe alle meiner Freunde heute früher als ich Schulschluss gehabt hatten. Eine Zeit lang sagte Jake gar nichts, sondern ging einfach nur weiter neben mir her, als wäre das immer noch das Selbstverständlichste der Welt, aber irgendwann hielt ich diese Stille einfach nicht mehr aus.

„Was willst du?" Ich hatte Angst gehabt, dass meine Stimme zu viel über meine Gefühle Jake gegenüber verraten würde, doch ich stellte erleichtert fest, dass ich komplett genervt klang, so als würde ich Jakes Verhalten für total überflüssig halten. Bei meinen Worten sah Jake mich kurz ein wenig seltsam von der Seite an, aber ich hielt meinen Blick stur nach vorne gerichtet. Ein Blick in seine Augen hätte mich wieder zu verwundbar gemacht.

„Ich...", begann Jake beinahe zögerlich, brach den Satz dann aber wieder ab. Dieses Verhalten verwirrte mich, also blickte ich doch zum ersten Mal wieder richtig in seine Richtung. Jake bewegte den Mund so, als würde er etwas sagen wollen, schien aber nicht wirklich in der Lage dazu zu sein, die Worte auch auszusprechen. Ich blieb jedoch stumm. Er war zu mir gekommen und nicht anders herum.

„Ich... ich weiß es nicht genau." Nach diesen Worten blickte Jake mir in die Augen und für einen kurzen Moment war ich versucht, meine Fassade fallen zu lassen. Seine grünlichen Augen hatten immer noch diese hypnotische Wirkung auf mich, gegen die ich mich immer noch nicht hatte wappnen können. Nachdem mein Gehirn dann aber nach einigen Sekunden realisiert hatte, was Jake denn da gesagt hatte, wich ich seinem Blickkontakt wieder aus und der Moment, in dem ich versucht gewesen war, ihm alles zu sagen, was mir auf dem Herzen lag, war vorbei. Ich wurde sauer.

„Du weißt es nicht? Schön. Dann weiß ich auch nicht, weshalb ich es mir gefallen lasse, dass du neben mir herläufst." Ich atmete tief durch, wagte es aber nicht, noch einmal in seine Augen zu schauen. Nicht, wenn ich das wirklich durchziehen wollte, was ich vorhatte. „Also lass mich in Ruhe", sprach ich weiter und wappnete mich für meine nächsten Worte. „Dieser ganze Fake-Beziehungs-Kram ist vorbei."

Ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, drehte ich mich von Jake weg und verließ auf schnellstem Weg das Schulgebäude. Fast rechnete ich damit, dass ich hinter mir Schritte hören würde, aber Jake folgte mir nicht. Diesmal nicht.

Es war aber auch besser so, denn meine Wut auf diesen blöden Typen und sein noch blöderes Verhalten war einer Traurigkeit gewichen, gegen die ich machtlos war. Das war nun mal das Problem an einem gebrochenen Herzen; nur derjenige, der es in Stücke gerissen hat, besitzt auch die Fähigkeit, es wieder zusammenzusetzen. Aber das würde Jake nicht tun.

Wie in Trance stieg ich in den Bus, der mich nachhause bringen würde, stieg an meiner Haltestelle wieder aus, kramte meinen Schlüssel aus meiner Schultasche und schloss die Haustüre auf. Ich war froh, dass noch niemand zuhause war, dass mich niemand so sehen würde. Ich fühlte mich nämlich wieder genauso wie an dem Abend, an dem Jake mich so verletzt hatte, nur kam dieses Mal noch der Faktor der Endgültigkeit hinzu.

Dass ich das Richtige getan hatte, war mir klar, diese Fake-Beziehung hatte keinen Sinn mehr ergeben. Zwei Personen, die nicht mehr miteinander redeten; das Mädchen in den Jungen verliebt, der Junge, der nichts mehr mit dem Mädchen zu tun haben möchte. Warum sollte man dann noch weiter so tun, als wäre alles perfekt? Denn perfekt war wirklich so ziemlich das Gegenteil von der kompletten Situation zwischen Jake und mir.

Ich wurde für einen kurzen Moment aus meinen Gedanken gerissen, als mein Handy einen Ton von sich gab und mir so signalisierte, dass ich eine neue Nachricht hatte. Kurzentschlossen ignorierte ich den Ton, da ich jetzt nicht in der Lage war, so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung und außerdem konnte derjenige – wer auch immer es war – auch einfach etwas auf meine Antwort warten.

Schon wieder schallte mein Benachrichtigungston durch die sonst stille Küche und kurz darauf noch einmal. Schon wieder wurde ich sauer. Warum konnte man mich nicht einfach in Ruhe lassen? Logisch, niemand wusste, wie es mir ging, aber irgendwie nervte mich im Moment alles. Natürlich war ich nicht auf mein Handy sauer oder auf meine Freunde, die mir anscheinend schrieben, aber ich wusste einfach nicht mehr wohin mit meiner Wut auf Jake und der damit einhergehenden Frustration. Obwohl ich dann doch weniger auf Jake, sondern mehr auf mich selbst sauer war – weil ich durch Jake so verletzlich geworden war und er das ohne mit der Wimper zu zucken ausgenutzt hatte.

Mein Handybildschirm leuchtete erneut kurz hintereinander zweimal auf. Genervt warf ich nun doch einen Blick darauf und zuckte prompt zusammen. Fünf neue Benachrichtigungen von WhatsApp, vier davon von Jake. Von Jake, der natürlich immer noch mit einem auffälligen, roten Herz in meinem Handy eingespeichert war.

PretendingWhere stories live. Discover now