Chapter 42

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Als Jake und ich wieder das Wohnzimmer betraten, sahen uns die meisten unserer Freunde neugierig an, Tyler hingegen grinste breit und sah so aus, als wolle er Jake und mir unbedingt irgendetwas mitteilen. Vielleicht – ich konnte es ja nicht wissen – wollte er aber auch nur Jakes neues, aus meinem Shirt bestehenden Outfit kommentieren, was ich ihm allerdings nicht hätte verdenken können.

„Wo wart ihr zwei denn so lange, hmm?", fragte er, als er die volle Aufmerksamkeit unserer Freunde besaß und immer noch grinsend ein paar Mal zwischen Jake und mir hinterhergeschaut hatte. Als keiner von uns beiden sofort antwortete, zog er seine Augenbrauen hoch und wackelte damit.

„Unsere Oberteile tauschen", antwortete Jake und versuchte, betont lässig mit den Schultern zu zucken. Da ich allerdings schräg hinter ihm stand, weil ich nach ihm wieder ins Wohnzimmer eingetreten war, konnte ich sehen, wie angespannt er doch in Wirklichkeit war.

„Ihr habt über zehn Minuten gebraucht, nur um eure Oberteile zu tauschen?", fragte nun auch Jo und ergriff damit sozusagen für Tyler Partei. Ihr Kommentar brachte beinahe alle anderen zum Lachen, während Jake und ich uns kurz ansahen, ich aber genauso schnell wieder wegschauen musste, um mich nicht wieder in dem Grün seiner Augen zu verlieren.

Keiner von uns beiden wusste, wie wir denn nun eigentlich reagieren sollten, also war diesmal ich diejenige, die mit den Schultern zuckte. Klar, unsere Freunde dachten, wir wären zusammen, also wäre es nicht schlimm gewesen, zuzugeben, dass wir nicht nur unsere Oberteile getauscht hatten, aber um das zu tun, war die Situation viel zu seltsam. Es kam mir so vor, als wüssten wir beide im Moment nicht, wie wir mit diesem Kuss – diesen Küssen– umgehen sollten.

„Wisch dir mal über den Mund, Jake", rief dann noch Felix – einer aus Jakes Clique, der sich nicht wie Dylan von uns abgespalten hatte – und ich bemerkte, wie Jake Felix mindestens genauso verwirrt wie ich ansah. Nicht einmal Felix' Freundin Dana schien zu verstehen, worauf der Junge, neben dem sie saß, hinauswollte.

„Wieso das denn?", fragte Jake und legte den Kopf leicht schief, während er sein Gegenüber fragend ansah – eine Geste, die mir an Jake schon öfter aufgefallen war und die ich zugegebenermaßen ziemlich süß fand.

„Claires Lippenstift hat auf deine Lippen abgefärbt." Sofort wischte Jake sich über den Mund, während ich unweigerlich auf seine Lippen starrte. Auf ihnen war gar kein Lippenstift zu sehen – kein Wunder, ich hatte mich ja auch nicht geschminkt und somit keinen Lippenstift benutzt.

Felix hatte Jake hereingelegt. Halb amüsiert, halb genervt sah ich zu Felix hinüber, während auf den Gesichtern der anderen immer noch Verwirrung zu sehen war, offensichtlich aufgrund der fehlenden Lippenstiftflecken des Typen, der mich geküsst hatte.

„Ha! Reingelegt!", rief Felix noch ein bisschen lauter als vorhin und brach in Gelächter aus. „Du hattest gar keinen Lippenstift an den Lippen, aber das war der Beweis dafür, dass du und Claire wirklich rumgemacht habt!" Nun verstanden auch die anderen, was Felix hatte sagen wollen und stimmten in sein Gelächter ein. Selbst Jakes Mundwinkel zuckten, obwohl ich sah, dass er sich bemühte, ein ernstes und genervtes Gesicht zu machen. Das wiederum brachte mich zum Lachen und nach einem Blick auf mich gab auch Jake sein Bemühen auf und lachte mit. Irgendwie war das ja auch eine lustige Situation.

Ich lachte und sah dabei Jake an, er lachte und sah dabei mich an, während alle anderen lachten und uns ansahen. Nach einiger Zeit ebbte das Gelächter allerdings ab und ich zwang mich, von Jake wegzuschauen. In den letzten paar Momenten, in denen wir mit unseren Freunden gelacht hatten, war es mir ohnehin zunehmend schwerer gefallen, nur in Jakes Augen zu schauen und nicht auch auf seine Lippen zu achten. Seit wann war das denn nur so?

„Tja, weißt du, was du jetzt für einen Fehler gemacht hast, Ian?", fragte ich, als ich meine Aufmerksamkeit mit Mühe von Jake weglenkte. Es funktionierte; als ich wieder jemand anderen als Jake ansah, konnte ich mich ein wenig besser konzentrieren und als Ian den Kopf schüttelte, begann ich wieder zu grinsen. „Du hast meinen Ehrgeiz geweckt, euch nun auch mit Pflichten und Wahrheiten zu quälen."

Okay, zugegebenermaßen, Ian und die anderen sahen nicht zu ängstlich aus, aber Jake lächelte mich von der Seite sanft an. Und auch Jos Grinsen war nun nicht mehr ganz so breit – immerhin wusste ich als Einzige, dass sie total auf Marc stand und nicht nur ein wenig, wie natürlich alle schon vermutet hatten. Sie musste sich aber natürlich keine Sorgen machen, auch wenn ich es Ian heimzahlen wollte, würde ich niemals das Vertrauen einer meiner Freunde missbrauchen.

„Na dann fang mal an, uns zu quälen", meinte Ian und erwartete anscheinend, dass ich ihn als mein „Opfer" aussuchen würde, allerdings war mir soeben eine bessere Idee eingefallen, als mir ein Gespräch von Jake und mir an unserem Cafeteriatisch in der Schule in den Sinn gekommen war.

„Tyler", rief ich also und schon wieder musste ich grinsen, als ich sah, dass er erst einmal sein Gespräch mit Lauren – die natürlich neben ihm saß – unterbrechen musste, um mir zuhören zu können. „Da anscheinend unbedingt alle wollen, dass sich die Leute hier küssen – Tyler, dann küss doch mal das Mädchen, das deiner Meinung nach die Hübscheste in unserer Runde ist." Ich grinste und Jake flüsterte mir leise ein „Gut gemacht" ins Ohr, das mich erschaudern ließ. Trotzt dieses Effekts, den Jake offenbar seit kurzem auf mich hatte, versuchte ich mir dies nicht anmerken zu lassen und richtete meinen Blick auf Lauren, die Tyler nervös ansah.

Man konnte ihr ansehen, dass sie offenbar das Mädchen sein wollte, dass Tyler auswählen würde, aber ein Blick auf Tyler machte klar, dass er ihren Blick absichtlich mied, eben weil sie seiner Meinung nach das hübscheste Mädchen war. Das Verhalten der beiden war wirklich ziemlich süß zu beobachten und brachte mich zum Lächeln. Prompt fragte ich mich, ob es den anderen so ging, wenn sie mich und Jake zusammen sahen.

„Tyler, komm schon", rief nun auch Jake und seine Stimme, die neben mir ertönte, riss mich wieder aus meinen Gedanken heraus. Jakes Worte schienen Tyler irgendwie ein wenig zu beruhigen – vielleicht hatten die beiden schon einmal darüber gesprochen, dass Tyler Lauren offenbar sehr mochte – und er atmete einmal kurz durch, ehe er sich ihr zuwandte und seine Lippen auf ihre drückte. Unsere Freunde – mich und Jake eingeschlossen – jubelten und pfiffen und als sich die beiden nach ein paar Momenten wieder voneinander lösten, konnte man nicht sagen, wer der beiden denn glücklicher strahlte.

„Okay, du hast die Wette gewonnen", flüsterte Jake mir wieder einmal ins Ohr und erneut versuchte ich, nicht auf die Schauer zu achten, die meinen Rücken herunterliefen. Einen kurzen Moment lang war das Einzige, an das ich denken konnte, Jake und sein Mund so nah an meinem Ohr, aber dann versuchte ich, mich zusammenzureißen und atmete – genau wie Tyler vorhin – erst einmal kurz durch.

Jake hatte natürlich Recht. Wir hatten vor ein paar Tagen gewettet, ob Tyler und Lauren noch vor Marc und Jo offiziell zusammenkommen würden und so, wie es jetzt schien, hatte ich mit meiner Vermutung, dass Tyler und Lauren eher zueinander finden würden, ins Schwarze getroffen. Die beiden saßen nun noch näher beieinander, Lauren hatte nach Tylers Hand gegriffen und außerdem redeten die beiden seit ihrem Kuss nun leise und lächelnd miteinander. Ich wandte mich wieder Jake zu und grinste.

„Also darf ich die nächsten Filme aussuchen." Auf meinen Kommentar hin lachte er.

„Wo du Recht hast..." Ich lächelte ihn kurz an, dann sah ich aber auch schon wieder weg, um mich nicht zu sehr ablenken zu lassen. Mein Lächeln verblasste jedoch nicht im Geringsten, da ich darüber nachdachte, dass Jake und ich nun in nächster Zeit wieder ein paar Filme zusammen schauen würden – und ich sogar entscheiden konnte, welche.

Natürlich war unser Wahrheit-oder-Pflicht-Spiel nach diesen zwei Runden noch nicht am Ende angelangt, aber keine der Pflichten, die ich erfüllen musste (oder in die man mich involvierte) und keine der Fragen, die ich wahrheitsgemäß beantwortete, waren so besonders wie die eine Pflicht, die zu dem Kuss zwischen Jake und mir geführt hatten.

PretendingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt