Chapter 45

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Meine Freunde – darunter sehr zu meinem Leidwesen auch Jake – standen alle vor dem Schuleingang versammelt und hatten offenbar schon auf mich gewartet. Ich wusste nicht, was Jake ihnen erzählt hatte, das erklärte, warum ich nicht mit ihm zur Schule gekommen war, aber offenbar musste es eine gute Erklärung gewesen sein, denn keiner sah mich seltsam an, als ich vom Auto meiner Mutter aus auf meine Freunde zuging.

„Hey, Claire", sagte Jake mit seiner sanften Stimme und für einen Moment, für einen klitzekleinen Moment, hörte ich etwas in seiner Stimme, das überhaupt nicht zu Jakes selbstbewusstem Auftreten passte. Einen Augenblick lang sah ich ihn an, aber dann wandte ich meine Augen wieder von ihm ab. Dass ich das tat, konnte zum Glück keiner meiner Freunde sehen, da ich Jake zugewandt und mit dem Rücken zu ihnen stand.

„Hi", antwortete ich schlicht mit meinem Blick starr an Jake vorbei auf das Schulgebäude gerichtet und merkte, wie Jake mir mit einer flinken Bewegung eine Haarsträhne hinters Ohr strich. Wieso war er immer noch so verdammt gut in seiner Rolle, obwohl er klar gemacht hatte, nichts mehr außer unserer angeblichen Beziehung mit mir zu tun haben zu wollen? Das war echt nicht fair. Zum Glück klingelte es aber zum Unterrichtsbeginn, bevor ich weiter in meinen Gedanken versinken konnte, und ich machte mich zusammen mit Lauren auf den Weg zum Geschichtsunterricht, den ich zum Glück nicht mit Jake zusammen hatte.

Der restliche Schultag verging glücklicherweise dann doch schneller und reibungsloser, als ich gedacht hatte. Auch wenn ich heute Sport hatte – das eine Fach, bei dem Jake und ich in den gleichen Kurs eingeteilt worden waren – überstand ich die Unterrichtsstunde zugegebenermaßen ziemlich gut. Wir spielten Badminton und unser Sportlehrer teilte uns in Paare ein, die jeweils die verschiedenen Schläge miteinander üben und am Ende auch ein Match spielen sollten.

Die Chance, dass jemand anderes als Jake mein Trainingspartner werden würde, war natürlich ziemlich groß und so freute ich mich, als ich einem Mädchen zugeteilt wurde, das zwar nicht Teil unserer Clique war, mit dem ich mich aber gut verstand. Und da ich Badminton genau wie Joggen ziemlich mochte, vergaß ich für diese Unterrichtsstunde sogar die meisten meiner Probleme, in dem ich mich einfach auf meine Schlagtechnik und das anschließende Spiel konzentrierte, das ich sogar gegen meine Konkurrentin gewann.

Nur nach der Schule, als ich mit meinen Freunden gemeinsam auf den Schulparkplatz zu ging, überlegte ich kurz, wie ich erklären konnte, dass ich nicht mit Jake nach Hause fahren, sondern den Bus nehmen würde. Jo hätte mich normalerweise natürlich auch mitnehmen können, aber Marc holte sie seit einiger Zeit morgens ab, von daher wollte ich die beiden nicht stören.

Mein Problem löste sich aber zum Glück von selbst, da Jakes und meine Freunde schon den Parkplatz verlassen hatten, ehe Jake den Riemen seines Motorradhelms entwirrt hatte. Sobald keiner der anderen uns mehr sehen konnte, kramte ich die Kopfhörer aus meiner Tasche und stöpselte sie in mein Handy ein. Ich wandte mich zum Gehen und wollte Jake einfach stehen lassen, so wie er es gestern auch mit mir getan hatte, aber anscheinend hatte er andere Pläne.

„Claire", rief er mir hinterher, aber ich drehte mich nicht zu ihm um. Er hatte mich schon genug verletzt und nur ein einziger Blick in seine grünen Augen hätte nur wieder weh getan. „Bitte", flehte er mich schon fast an und für einen kurzen Moment verlangsamte ich meine Schritte. Da war wieder dieser Ton in seiner Stimme aufgetaucht, den ich auch schon heute Morgen nicht hatte deuten können.

Kurz haderte ich mit meiner Entscheidung, ihm nicht zuzuhören, aber dann straffte ich die Schultern und erinnerte mich wieder an das, was er mir angetan hatte. Nach gestern war er es nicht mehr wert, dass ich mich zu ihm umdrehte und mit ihm redete, als hätte er mich mit seinen Worten nicht zum Weinen gebracht. Und so komisch es sich anfühlte, zum ersten Mal von Jake weg und nicht auf ihn zuzugehen, so war ich mir doch sicher, dass es das Beste war, was ich in dieser Situation tun konnte.

Um nichts mehr um mich herum hören zu müssen, steckte ich mir die Ohrstöpsel meiner Kopfhörer in die Ohren und suchte nach der Playlist auf meinem Handy, die kaum traurige Lieder beinhaltete. Es wäre nicht wirklich förderlich für mich, wenn ich jetzt auch noch traurige Musik hörte, egal wie sehr ich diese sonst liebte. Irgendwie musste ich auf andere Gedanken kommen, aber auch der Bus, den ich letztendlich nach Hause nahm, half dabei überhaupt nicht. Er erinnerte mich nur daran, wie sehr ich es genossen hatte, mit Jake auf seinem Motorrad mitzufahren und gerade nicht mit dem Bus fahren zu müssen.

Ich war fest davon überzeugt, dass dieser Tag heute gelaufen war, da entdeckte ich ein silbernes Auto in der Einfahrt unseres Hauses, das da schon ewig nicht mehr gestanden hatte. Das Auto meines Vaters, der eigentlich noch bis Ende der Woche auf seiner Geschäftsreise sein sollte. Unwillkürlich beschleunigte ich meine Schritte und beeilte mich, die Haustür aufzuschließen. Als mir im Flur der Geruch von Kaffee entgegenschlug, wusste ich, dass er wirklich wieder zuhause war, denn meine Mutter mochte keinen Kaffee.

„Dad!", rief ich glücklich und warf mich in seine Arme, die er lächelnd für mich aufgehalten hatte, sobald ich in die Küche getreten und er mich erblickte hatte. Das Lächeln, das sich nun auf meinem Gesicht ausbreitete, war seit gestern das Erste, das ich hundertprozentig ernst meinte. Es war toll, dass Dad wieder da war und auch meine Mutter strahlte, als sie sah, wie sehr ich mich freute, meinen Vater endlich wieder zu sehen.

„Hier, für dich, Claire", sagte mein Vater und reichte mir ein kleines Päckchen, das wohl auf dem Küchentisch gelegen hatte, mir aber noch nicht aufgefallen war. Freudig nahm ich es an. Mein Vater brachte mir von jeder seiner Geschäftsreisen irgendeine Kleinigkeit mit, manchmal ein neues Armband, manchmal ein neues Buch oder wie dieses Mal ein paar süße saphirblaue Ohrringe. „Gefallen sie dir?", fragte mein Vater und lächelte, als er mein Gesicht sah.

„Natürlich! Danke. Ich bin so froh, dass du wieder da bist." Ich umarmte ihn noch einmal, aber dann ließ ich ihn wieder los, da mir plötzlich etwas einfiel. Was, wenn mein Vater mich irgendwann auf Jake ansprechen würde? Ich hatte ihm zwar nichts über Jakes und meine angebliche Beziehung erzählt, aber eigentlich konnte ich mir gut vorstellen, dass Mum etwas gegenüber ihm erwähnt hatte, was ich ihr natürlich nicht verdenken konnte. Es war nun mal klar, dass die beiden auch einmal über mich sprachen.

Ich nahm mir vor, meine Mutter sobald es möglich war zu fragen, ob und wenn ja was sie ihm über Jake und mich erzählt hatte, damit ich gegenüber meinem Vater so wenig wie möglich über das Thema reden musste. Über die ganzen Probleme zu reden tat nämlich noch mehr weh, als nur darüber nachdenken zu müssen.

Es gab zwar Momente, in denen ich darüber nachgedacht hatte, ob es alles nicht leichter machen würde, wenn ich mit jemandem reden könnte, aber da ich sowieso nicht wusste, wem ich von Jakes und meiner Fake-Beziehung und den damit einhergehenden Problemen hätte erzählen sollen, hatte ich den Gedanken immer sofort verworfen. Aber vielleicht hätte das Reden auch sowieso nichts gebracht, vielleicht musste ich durch diese Sache wirklich alleine durch.

PretendingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt