Unerwartetere Hilfe

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Allein und am ganzen Körper zitternd, hockte ich nun fest an die Turmwand gepresst auf der Plattform und starrte fassungslos auf die Stelle, wo noch eben Akaya und Mrs. Roberts gestanden hatten. Der Boden zu meinen Füßen war übersät von schwarzen und roten Blutspritzern, Haarbüscheln, weißen sowie schwarzen Stofffetzen und losen Steinchen, die von dem ganzen Kämpfen lose getreten worden waren.

'Du musst leben.'

Der letzte Befehl meiner Mentorin war alles, woran ich denken konnte. Es zerrte und zog in meinen Gliedern, voller Verzweiflung wollte mein Körper dem nachkommen, aber ich weigerte mich. Verbissen versuchte ich, mein rasendes Herz zu beruhigen und den Tränen in meinen Augen Einhalt zu gebieten.

Es durfte nicht wahr sein.

Wie sehr wünschte ich, all das hier nur zu träumen. Es musste ein Traum sein. Ich würde alles dafür geben, jetzt aus einer Vision oder einem Zeitsprung aufzuwachen und dabei festzustellen, dass die Ereignisse der letzten Minuten nicht passiert waren.

Aber wie sehr ich mich auch bemühte, ich wachte nicht auf.

Irgendwann, als die Farbe des Himmels von einem Flammenrot in trübes Wintergrau überging, stemmte ich mich schließlich hoch. Meine Glieder protestierten lautstark und mir wurde schwindelig, als ich schließlich mit Mühe und Not auf die Füße kam. Verbissen wischte ich mir mit meinen Fingern den Rotz und das Salzwasser der Tränen vom Gesicht, während ich so gut wie möglich versuchte, meinen linken Arm nicht zu bewegen. Glücklicherweise hatte sich meine rechte Hand wieder gerichtet, sodass ich sie wenigstens weitestgehend nutzen konnte. Solange jedoch meine linke Schulter aus ihrem Gelenk gesprungen war, konnte diese sich nicht regenerieren. Und ich hatte weder den Mut, noch das Wissen, sie auf eigene Faust an den Platz zurückzuschieben, wo sie hingehörte. Trotzdem musste es weitergehen.

Die Falltür im Boden war immer noch geöffnet. Mit schweren Schritten schleppte ich mich zu ihr und lugte hinein in die bodenlose Finsternis. Die wackelige Leiter, die wohl der einzige Weg hinunter war, wirkte auf mich alles andere als vertrauenswürdig, doch ich hatte keine andere Wahl.

"Okay, Sarina.", murmelte ich und gab mir alle Mühe, meine Stimme nicht brechen zu lassen. "Du hast es bis hierhin geschafft, du wirst den Rest jetzt auch noch überstehen."

Aus dem Inneren der Burg ertönte ein hohes Heulen.

"Hoffentlich.", fügte ich hinzu und tastete meine Kleidung ab, um nach einem Dolch oder irgendeiner anderen Klinge zu suchen, die sich nach dieser langen, ereignisreichen Nacht noch nicht von mir verabschiedet hatte. Aber das Einzige, das ich fand, war eine silberne Haarnadel, die nur noch notdürftig den Knoten in meinem Nacken zusammenhielt. Ich zog sie seufzend hervor und drehte den langen Stiel in meiner Hand. Die Leichte des Metalls war ein wenig beunruhigend, aber wenigstens war sie aus echtem Silber. Das würde den Hybriden zumindest leichte Verbrennungen bescheren und ich hatte mehr Zeit, um mir einen anderen Plan zu überlegen. Oder wegzurennen.

Kurz bevor ich mich jedoch ins Innere der Burg begab, ließ ich meinen Blick noch einmal über die Plattform schweifen. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, doch als es in einer Ecke kurz aufleuchtete, hielt ich inne.

Meine Kette.

Der saphirbesetzte Anhänger wirkte so unscheinbar, als wären nicht erst eine halbe Stunde zuvor Lichtwellen aus ihm hervorgebrochen, um sich mit aller Macht gegen die dunkle Schattenblase zu werfen. Ich hob ihn auf und strich mit dem Daumen zärtlich über das eingravierte Alpha-Zeichen.

Ich musste so schnell wie möglich hier raus. Ich musste Len finden und ihm alles erzählen.

Kurz entschlossen stopfte ich das Schmuckstück in meine Hosentasche und wirbelte dann herum. Mit neuer Kraft stapfte ich zurück zur Holzluke, die Haarnadel dabei fest zwischen den Zähnen, bevor ich mich hinkniete, um die Beine auf die erste Sprosse der Leiter zu stellen.

Mein neues IchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt