Die spinnen doch alle

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"Äh, also . . . ", stammelte Mum und wurde rot, was eine gute Abwechslung zu der bleichen Farbe davor war, sonst hätte ich sie noch für halbtot gehalten.
"Mum, ich habe gerade mitbekommen, wie sich eine Katze in einen Menschen verwandelt hat! Könntest du mir das mal erklären? Du siehst nämlich so aus, als wüsstest du es."sagte ich panisch (okay, ich gebe zu, das war gelogen, sie sah eher so aus, als würde sie gleich umfallen), da Tyler mir immer noch Angst machte.
Während meine Mutter weiter stammelte, fing jetzt auch er an zu reden.

"Ich dachte, du hättest ihr es schon gesagt, Celine. Bei meinem letzten Besuch... "
Blablabla. Ich blendete Beide aus und versuchte mich zu konzentrieren. Aber es ging bei dem ganzen Lärm hier einfach nicht.
"Ruhe!", sagte ich erschöpft.

Meine Stimme war nicht einmal laut gewesen, aber sie hallte in dem, jetzt leisen, Raum doppelt so stark wieder. Beide hatten augenblicklich aufgehört zu reden.

Nach einigen Sekunden des Schweigens, flüsterte Tyler: "Sie ist schon zu stark. Ich kann mich ihr kaum widersetzen. Bitte!", er sah Mum flehend an "lass sie mich mitnehmen. Sie wird lernen, damit umzugehen. Wir werden es ihr beibringen."
Hallo?
Ich bin auch noch da?
Mit was umgehen? Wer wird mir was beibringen?

Ich schaute wieder meine Mum an und zuckte erschrocken zusammen, ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Ihre Augen strahlten pure Verzweiflung aus.
"Bitte, du kannst sie hier nicht länger verstecken. Irgendwann werden sie Sarina finden" redete Tyler weiter.

Mum schüttelte nur kraftlos den Kopf. Ich wusste was jetzt kam, das kannte ich aus Büchern.
"Ich will sie doch nur beschützen. Ich will sie in meiner Nähe haben. Wer weiß, was ihr da mit ihr anstellt?", trotzig reckte sie das Kinn “Ich bin auch mächtig."

Moment mal! Stopp! Kurze Auszeit!
Was hatte sie gesagt?
Sie ist mächtig?
Reden wir hier von einem Computerspiel, oder so?
Nein, eher nicht. Aber von was dann?
Träume ich, oder ist das hier Wirklichkeit?
Vielleicht sollte ich mich mal kneifen.

Ich widerstand der Versuchung mir körperlich weh zu tun und Tyler seuftzte entnervt.
"Celine, du stehst in der Mittelstufe. Ich weiß nicht einmal, warum es Mrs. Roberts überhaupt so weit kommen ließ. Wir werden sie beschützen. Außerdem hat sie viele unentdeckte Talente in sich. Wir helfen ihr sich selbst zu entdecken und zu entwickeln. Sie aber vollkommen unwissend zu lassen . . ." geschockt schüttelte er den Kopf.

Ich räusperte mich.
"Könnte mir bitte jemand erklären was hier eigentlich los ist?" fragte ich.

Tyler wandte sich mir zu und betrachtete mich mit einem traurigem Lächeln.

"Sarina." sagte er.
Ich verzog das Gesicht.
Er sagte meinen Namen wie jemanden, der einen Gott verehrte. Voller Bewunderung und Hoffnungen.
"Es ist erschreckend zu sehen, wie sehr du dich verändert hast."
Oje, das kann ja heiter werden.
Ich warf Mum einen panischen Blick zu.
"Ich bin etwas enttäuscht über" er sah Mum kurz an, "deine Eltern."

"Warum?" fragte ich nur dümmlich.
"Was weißt du über Fabelwesen? Kennst du einige?“
Hä?
Verwirrt blickte ich ihn an.
"Weiß nicht, Werwölfe, die sich bei Vollmond verwandeln und äh, Vampire, die Blut trinken? " versuchte ich es.
"Hmm, weißt du noch weitere“ er verzog das Gesicht, "Arten? Einige, die du vielleicht durch alte Fabeln kennst?“
Ich dachte scharf nach.
In der siebten Klasse hatte ich eine Phase, wo ich andauernd auf Wikipedia nach Mythen und ähnlichem gesucht habe. Natürlich darunter auch Werwölfe und Vampire.
"Hexen, Feen“ versuchte ich es weiter. " und..."
Jetzt klappte der Hebel um.
Aber das kann nicht sein.

"Gestaltwandler. " sagte ich tonlos. Meine Mutter stöhnte auf.
Tyler nickte bedächtig.
"Ja, wir bezeichnen uns eher als Metamorphen."
Meine Miene regte sich nicht.

"Ja, schön für euch.“ entgegnete ich gleichgültig “aber was hat das jetzt mit mir zu tun?"
Eigentlich kannte ich die Antwort schon längst.
Ich habe ja immer gewusst, dass etwas bei mir nicht stimmt. dachte ich sarkastisch und hätte beinahe laut aufgelacht.

"Du bist besonders." sagte Tyler. Ich schnitt eine Grimasse.
"Sogar für unsere Verhältnisse."
Na super, das wurde ja immer besser.
"Du weißt sicherlich, was ich jetzt sagen werde. Du bist ein Gestaltwandler. Du kannst dich in ein Tier verwandeln. Welches, werden wir herausfinden, wenn du mit mir gehen darfst." Als er dies sagte, warf er meiner Mutter einen scharfen Blick zu.
Der spinnt doch total!
Das einzige was ich kann ist, Bruchrechnen, richtige Kommaschreibung, Skittles essen und mal davon abgesehen bin ich auch sehr gut darin keine Freunde zu finden.

Deswegen habe ich mir in den letzten Jahren einen Schutzmechanismus zugelegt, der mich vor fremden Blicken schützte. Einfach keine Emotionen zeigen. Dieses Pokerface brachte ich jetzt zum Einsatz.

Als ob dieser kleine Satz etwas daran ändern könnte.
Nur, was mich noch brennend interessierte. . .

"Mum und Dad?" fragte ich ausdruckslos.
Tyler nickte.
Ich wandte mich an Mum.
"Was bist du?"
Auch wenn ich es mir nur ungern eingestehe. . . cool ist das trotzdem irgendwie.
Meine Mutter erwachte aus ihrer Starre in die sie, während Tyler erzählt hatte, gefallen war und sah mir prüfend in die Augen.

Ich bemühte mich, keinen verschlossen Audruck mehr an den Tag zu legen, sondern schaute Mum jetzt (hoffentlich) neugierig an.

Sie schloss die Augen und plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ihre Kleidung flimmerte.
Sie wurde immer heller und plötzlich schien Mum zu schrumpfen.
Keine zwei Sekunden später hockte vor mir eine wunderschöne Schwanendame und sah mich schüchtern an.
Ihr Gefieder war so weiß wie Schnee und als ich ihr vorsichtig mit den Fingern über den Rücken strich, fühlte es sich an, wie die feinste Seide.

"Das ist wundervoll." hauchte ich fasziniert.
Tyler betrachtete mich mit einem Lächeln.
Ich richtete mich wieder auf und sah Tyler an.
"Und jetzt?"

"Wenn deine Eltern sich bald entscheiden, können wir gleich morgen aufbrechen."
"Und wohin, wenn ich fragen darf?"

"Phoenix-Akademie." sagte er mit einem Hauch Stolz in der Stimme und ich glaube, dass er sich ein wenig gerader hinsetzte.

"Nun gut." sagte Mum, die jetzt wieder auf den Füßen stand.
"Ich werde mit meinem Mann darüber sprechen. Aber, Tyler?" sagte sie mahnend. "Ich kann nichts versprechen. "
Damit drehte sie sich um und rauschte aus dem Zimmer.

Ich starrte auf den Fleck wo sie vorher gestanden hatte.
"Na gut." sagte Tyler und seuftzte. "Vielleicht sehen wir uns morgen wieder. Und ganz vielleicht, kannst du ja mal mit deiner Mutter darüber reden. Außerdem glaube ich, dass Marco es genauso sieht wie ich, und nicht wie Celine."
Mit diesen Worten erhob er sich vom Sofa und kurze Zeit später huschte ein schwarzer Blitz an mir vorbei, aus dem Fenster und in die anbrechende Dämmerung hinaus.

Auf dem Boden lag noch eine weiße Feder von Mum. Warscheinlich hatte sie sie verloren.
Ich bückte mich und betrachtete sie. Ohne Frage, die Feder war wirklich wunderschön.
Ich fragte mich, warum meine Eltern, nach Tyler zufolge meine Mutter, mir so etwas verheimlichen wollten.
Wärend ich darüber nachdachte, drehte ich den Kiel immer und immer wieder in meiner Hand.

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Bild: Celine als Schwan

Mein neues IchWhere stories live. Discover now