Tag eins -Die Suche ins Nichts?

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"Nevis, die Abendpatrouille ist aufgebrochen. Komm bitte und räume ihr Geschirr hab."

Nils Kopf erschien in der Tür, um zu sehen, ob ich ihn auch gehört hatte. Entnervt stöhnend setzte ich mich auf und legte das Buch beiseite, das ich vor drei Minuten erst in die Hand genommen hatte.

"Warum können die das nicht selber machen? Ich habe nicht einmal Küchendienst."

Mit wenig Elan setzte ich mich auf, schwang meine langen Beine über die Bettkante und drückte mich hoch.

"Für das Leben im Rudel muss jeder etwas beisteuern, damit es so angenehm wie möglich gestaltet werden kann."

"Also für mich ist es nicht angenehm.", murrte ich und wollte mich an meinem Onkel vorbeidrücken.

"Nevis." Zwei große, warme Hände legten sich auf meine Schultern. Nils blaue Augen, die meinen so sehr ähnelten, sahen mich sanft an. "Ich will nur das Beste für dich. Und um dies zu erreichen, ist Mitglied eines Rudels zu sein das Einzige, was dafür infrage kommt."

Für einen kurzen Augenblick betrachtete ich ihn nur. Seine hellbraunen Haare waren an den Schläfen bereits ergraut, was man auch in seinem Dreitagebart wiederfinden konnte. Die Haut war trotz der Bräune stumpf und die Falten auf der Stirn und in den Mundwinkeln waren eher ein Zeichen von lang anhaltender Sorge, anstatt von herzlichem Lachen. Mein Onkel war mit seiner Kraft am Ende.

Ich schluckte einmal und nickte dann.

"Mach dir keine Sorgen. Ich werde mich hier einleben."

Doch bereits während ich es aussprach, konnte ich mir selbst nicht glauben.

Die Küche war die reinste Müllhalde. Man sollte doch meinen, dass Werwölfe gerade wegen ihrer Wolfseite das Bedürfnis nach Sauberkeit und Ordnung haben, oder?

Eher nicht.

Zähneknirschend machte ich mich daran, die abgenagten Hähnchenknochen und Kartoffelschalen vom Boden aufzusammeln, wobei mein Kopf nicht nur einmal unerwünscht Bekanntschaft mit der Tischkante machte.

"Na Kleiner, schon wieder Küchendienst?", ertönte die Stimme von Mel. Die schwarzen Augen der Jägerin glitzerten amüsiert, als sie sich zum Kühlschrank drehte und ein Bier herausnahm.

"Du meinst wohl immer noch.", brummte ich zurück und hielt ihr meine Handfläche hin, damit sie mir gleich den Bierdeckel überreichen konnte.

"Mach dir nichts draus. Gerade weil du ein Erbe bist wird nur sichergestellt, dass du dich nicht auf diesem Titel ausruhst. Das Rudel muss auch durch eine andere Art von dir profitieren. Und was glaubst du, wie viele Tische ich bereits abräumen musste?"

Mel zwinkerte mir zu.

"Du hast ja recht.", seufzte ich.

"Braves Hündchen, und jetzt geh zur Spüle und wasch ab." Mit diesen Worten stolzierte sie kichernd aus dem Raum, während ich mich dem Abwasch widmete.

Mit einem Mal wurde es schwarz und im nächsten Augenblick fand ich mich draußen wieder.

Der zunehmende Mond war klar zu sehen, keine einzelne Wolke verdeckte ihn. Ich kehrte dem Hauptgebäude den Rücken zu und überquerte mit zwei Mülltüten in der Hand den direkt davorliegenden Versammlungsplatz.

Hinter den Fenstern der hölzernen Bungalows, die im Schutz der hoch aufragenden Kiefern lagen, brannte bis auf ein paar Ausnahmen gemütliches Licht. Gedämpftes Lachen und Gegröle drang an mein Ohr, während ich mir weiter meinen Weg durch die Bäume hindurch zum Müllplatz bahnte.

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