Wenn die eigene Lebensdauer gefährdet ist

25.9K 1.4K 206
                                    

Mit langen Schritten eilte ich Len hinterher, der mit eingezogenem Kopf und in den Taschen vergrabenen Händen vorangelaufen war.

"Also," begann ich, als ich mit ihm auf einer Höhe lief "was erzählen wir?"

"Ich würde sagen, alles." antwortete Len ohne mich anzusehen. "Sie wird von uns verlangen alles zu berichten. Ich meine, wir haben die Überwachungskameras ausgeschaltet, Geländewagen geklaut-"

"Ausgeliehen." verbesserte ich und der Alpha schnaubte amüsiert.

"ausgeliehen, eine Lösung zur Sichtbarkeit eines auferlegten Zaubers gebraut, einen Werwolf getötet, einen unschuldigen Jungen niedergeschlagen und sind in einen Pub eingebrochen."
"Wenn du das so sagst, klingt das natürlich gleich anders." murmelte ich zerknirscht und Len seufzte.

"Ich denke, es ist besser so."

"Warum habe ich nur das Gefühl, dass diese Worte mich beruhigen sollten, aber diesen Zweck überhaupt nicht erfüllen?" grummelte ich leise. Dabei war ich mir nicht ganz sicher, ob Len mich verstanden hatte, oder den Kommentar schlichtweg ignorierte.

Der Campus war wie leergefegt, als wir über den nassen Rasen liefen. Kein einziger Schüler war zu sehen und ich fragte mich, ob das langsam zur Gewohnheit wurde.

Ich legte den Kopf in den Nacken und wanderte mit meinen Blicken an den weißen Wänden des Gebäudes entlang. Ich entdeckte hinter den Fenstern, die zur Bibliothek gehörten, einladende, leicht flackernde Lichter. Ein paar Leute hatten es sich auf den gepolsterten Fensterbrettern gemütlich gemacht und waren vertieft in ihre Bücher.
Was würde ich jetzt dafür geben.

Ganz in Gedanken versunken setzte ich den Fuß auf die erste Stufe. Die Feuchtigkeit des Regens verwandelte die glatt polierte Oberfläche in eine gefährliche Stolperfalle. Mit Mühe und Not konnte mich noch am Geländer festklammern, bevor mein Hosenboden eine Bekanntschaft mit dem harten Gestein schloss.

Len stieß ein leises Prusten aus, was er aber sofort als Husten tarnte, als er meinen vernichtenden Blick bemerkte. Ich kam noch einige Male ins Rutschen, als wir den Rest der glatten Steintreppen erklommen, doch letztendlich überstand ich die Tortur ohne irgendwelche bösartigen Zwischenfälle.

Angewidert schüttelte ich mich, als wir die hohe Holztür hinter uns schlossen und in den warmen Eingangsbereich traten.

"Ich hasse dieses Wetter!" schimpfte ich und öffnete meine Jacke. "Und bald ist auch noch Winteranfang."

"Das habe ich bereits registriert." brummte Len. "Ich kann das ebenso wenig leiden. "

"Tja," seufzte ich in einem alles erklärenden Ton und steuerte in Richtung Büro "wir sind eben Katzen."

Lens darauffolgendes Augendrehen beachtete ich nicht weiter.

Das erste Mal, als Len mich zu seiner Tante begleitet hatte, war mir der Weg unfassbar lang vorgekommen. Bei den ganzen Treppen, Gängen und Türen verlor man schnell den Überblick, doch in Zwischenzeit war ich schon sooft hier gewesen, dass ich den Weg wahrscheinlich auch im Schlaf finden würde.

Die kastanienfarbene Tür erschien vor uns. Skeptisch musterte ich das Holz und fragte mich, ob ich den Raum dahinter je wieder verlassen würde. Als hätte mein Artgenosse meine Gedanken gelesen, sagte er: "Keine Sorge, sie wird uns schon nicht umbringen." Eine kurze Pause entstand. "Hoffe ich."

Ich schnalzte mit der Zunge. "Das hilft mir ungemein."

Len seufzte. "Na los, bringen wir's hinter uns."

Ich klopfte zögernd und ein scharfes Herein ertönte. Mein Körper verkrampfte sich und ich warf dem Alpha noch einen letzten panischen Blick zu, bevor ich die Tür öffnete und sie den Blick auf Mrs. Roberts freigab.

Mein neues IchWhere stories live. Discover now