Im Kampf des Löwen

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Es war grauenvoll.
Ich hatte das Gefühl auseinandergerissen zu werden.
Mein Rücken dehnte sich durch und meine Wirbelsäule knackte. Aus meinem Kiefer durchbrachen Reißzähne das Zahnfleisch. Ich hatte den Geschmack von Blut im Mund.

Knochen splitterten.
Meine Nase wurde schmerzhaft zu einer Schnauze verformt. Fell sprießte aus meiner Haut und bedeckte meinen ganzen Körper.
Meine menschlichen Ohren zogen sich in die Kopfhaut zurück, um den neuen Platz zu machen. Aus meinem Steißbein schoss ein langer Schwanz.
Der Schmerz ließ mich in die Knie gehen und überrollte mich wie eine Welle.

Plötzlich war es vorbei.

Ich stand auf allen vier Pfoten und zitterte am ganzen Körper. Aus meiner 'Armwunde' (die jetzt übrigens an der Schulter klaffte), tröpfelt immer noch Blut, aber der Schmerz war nicht mehr so schlimm.
Die ganze Zeit hatte ich keinen Mucks gesagt und die Augen zusammengepresst gehabt.
Jetzt öffnete ich sie.

Die Schüler starrten mich an. Ich knurrte und sie wichen hektisch zurück.

Ich schaute auf meine Pfoten. Sie waren groß und mit scharfen Krallen versehen, die sich gerade haltsuchend in die Erde gruben.

Mein ganzer Körper war von glänzendem, goldgelben Fell überzogen.

Eine Löwin.

Welch Ironie.

Mein männlicher Artgenosse kämpfte immer noch mit dem verschreckten Tiger.
Er schien von alldem nichts mitbekommen zu haben.
Kein Wunder.
Meine Verwandlung hatte auch nur ein paar Sekunden gedauert. Und ein Geräusch hatte ich auch nicht gemacht.

Der Schmerz hatte jedenfalls nichts an meiner Wut geändert.
Und was ist so gefährlich wie ein wütendes Raubtier?

Von hinten schlich ich mich an den tollwütigen Len heran.
Was war denn in ihn gefahren?

Der arme Tiger war wahrscheinlich schon beinahe ohnmächtig.

Ich kauerte mich hin, spannte alle Muskeln an und stieß mich vom Boden ab.

Ich landete genau auf seinem ungeschützten Rücken. Mein Gewicht ließ ihn in die Knie gehen.

Mit einem überraschten Laut wich der Löwe zurück. Ich krallte meine Tatzen in seine Mähne.

Er versuchte mich von seinem Rücken zu werfen, verrenkte sich den Nacken um mich, seine Gegnerin, in Sichtweite zu bekommen. Ich fauchte dem Tiger zu und er humpelte so schnell er konnte in Richtung Akademie.

Als es Len es nicht gelang, einen Blick auf mich zu erhaschen, drehte er sich blitzschnell auf den Rücken.

Mit einem Zischlaut wurde meine gesamte Luft aus den Lungen gepresst und ich gab meine Zeckenumklammerung auf.

Ich fuhr ihm mit den Krallen über die Schnauze, um mich aus seinem Griff zu befreien und ihn von mir zuschieben, aber ich hätte genauso gut versuchen können, einen Eisblock zu bewegen.

Er war einfach stärker als ich und knurrte nun gefährlich über mir.
Seine Schnauze war nur Zentimeter von meiner Kehle entfernt.
Verärgert senkte ich meine Augen und begab mich in die Unterwürfigkeit. Nur ungern entspannte ich meinen Körper.

Er knurrte noch einmal, wie zur Warnung und hob dann zufrieden seinen Kopf.

Hat er wirklich geglaubt, dass ich mir das gefallen lasse?

Er ahnte es nicht.

Ich rammte ihm meine Hinterläufe in den ungeschützten Bauch und kam innerhalb von Sekunden wieder auf die Beine. Das Blut rauschte in meinen Ohren und wäre ich ein Mensch, hätte ich "Ha!" geschrien.

Mein neues IchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt