Die Sonnenquelle

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Wir waren erst seit knapp zwei Stunden unterwegs, da dämmerte es bereits. Ich konnte an Nevis' entspannter Haltung erkennen, dass ihm die anbrechende Dunkelheit zunehmend Sicherheit gab, während ich angestrengt versuchte, nicht meine innerliche Unruhe preiszugeben.

Der Trupp, den die Elfenkönigin für uns bereitstellte, bestand, wie ich vermutet hatte, aus einigen der besten Soldaten der königlichen Leibgarde. Sie waren ausgebildet für den Schutz und sicheren Geleit der Herrscherfamilie und benahmen sich gerade so, als wären wir ein Teil von eben dieser. Doch unterschwellig fühlte es sich nicht richtig an. Denn im Hinterkopf war mir bewusst, dass, wenn uns niemand aus der engen Traube von Soldaten herausholen konnte, wir dementsprechend auch nicht in der Lage waren, uns aus ihr zu befreien.

Ich verstand nicht so ganz, wieso wir behandelt wurden, als wären wir von höchster Wichtigkeit. Vor allem, da ich mich aufgrund der bewaffneten Soldaten, die sich um uns drängten, eher wie ein Schwerverbrecher fühlte. Aber wer wusste schon, ob nicht eigentlich dies die Absicht der Elfen war. Sie schienen alles in ihrer Macht stehende zu tun, uns so gut wie möglich daran zu erinnern, dass sie der einzige Grund waren, wieso wir alle noch eine leise Chance darauf hatten, womöglich doch noch den nächsten Tag zu erleben.

Ein nicht sehr damenhaftes Schnauben entfloh mir, als mir dieser Gedanke kam, und ein junger Soldat zu meiner Rechten zuckte erschrocken zusammen.

"Ich beiße schon nicht.", erwiderte ich nur und zeigte bei dem darauffolgenden, nicht ganz unironischen Lächeln absichtlich meine Eckzähne.

'Du bist böse', schallte Lens amüsierte Stimme in meinem Kopf und ich zuckte nur mit den Schultern.

'Sie sollten wissen, dass wir uns das nur gefallen lassen, weil wir keine andere Wahl haben.'

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie mein Artgenosse tonlos seufzte.

'Du hast schon recht. Es geht mir ja auch auf die Nerven.'

Ich schielte hinüber zu Nevis, der unter den strengen Argusaugen von Keniir ein Stück abseits von der Truppe laufen musste. Die Elfen schienen sich zwar noch gerade damit abzufinden, uns in ihre Mitte zu lassen, doch bei dem Erben gab es keine Ausnahme. Beim Aufbruch war es Len glücklicherweise noch gelungen, den Elfenhauptmann davon abzuhalten, Nevis mit einem spitzen Speer vor sich herzutreiben, um ihn „besser im Auge behalten zu können".

Dem Werwolf schien dieses Verhalten nicht viel auszumachen. Ja, er lachte sogar darüber, doch tief in meinem Inneren konnte ich nicht glauben, dass er damit einverstanden war, wie ein Aufsässiger behandelt zu werden.
Na ja, noch mehr als wir jedenfalls. Ein wenig beneidete ich ihn ja um seinen Freiraum.

„Hey, du! Schneller!" Keniir sprach zu Nevis, der ein wenig zurückgefallen war, um sich ein wenig die Umgebung anzusehen. Dabei hob er drohend seinen Speer und machte Anstalten, dem Austauschschüler damit in die Seiten zu stechen.

„Wow, mach mal halblang, Spitzohr.", brummte Nevis und hob abwehrend die Hände. „Du kannst deinen übergroßen Zahnstocher wieder einpacken. Ich werde schon keine Dummheiten machen."

„Ach ja?", sagte der Elf eisig und hob ruckartig die Hand. Der Zug stoppte so abrupt, dass ich beinahe in den jungen Elf lief, dem ich noch vor einigen Minuten unterschwellig gedroht hatte, und mittlerweile mit einigem Abstand vor mir lief. Für diesen Abstand war ich nun auch dankbar. Er käme sonst auf die Idee, ich würde ihn absichtlich anfallen wollen.

‚Alter, haben die Augen im Hinterkopf, oder was soll das?', beschwerte sich Len und als ich den Kopf drehte sah ich, dass er weniger Glück gehabt hatte und gerade verlegen nicht vorhandene Falten in der Uniform eines Soldaten mit goldenen Augen glättete, der jedoch nur unsanft seine Hände wegstieß. Doch meine Aufmerksamkeit richtete sich schnell wieder auf den Werwolf und den Elf hinter mir.

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