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Nachdenklich sah ich aus dem Fenster.
Mein Vater hatte mich gefunden.

Er hatte vor, mich zu töten.

Ich sah rüber zu Damián, um mich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Er legte gerade seine Hand auf die Gangschaltung, während er den Wagen völlig entspannt mit fast 200 km/h über die Straßen lenkte.

Mein Blick fiel auf seine große Hand, die wegen der vielen Adern sehr kräftig aussah.
Ich erinnerte mich an das Gefühl seiner rauen Handfläche, wie sie auf meinem Gesicht lag. Bevor ich überlegen konnte wanderte meine Hand zu seiner und mein Zeigefinger fuhr mit dem Fingernagel sanft über die Adern, von den Fingern, über den Handrücken bis hinauf zu seiner Armbanduhr.

Ich bemerkte erst was ich da tat, als er nach ein paar Minuten seinen unergründlichen Blick zu mir wandte.
Ertappt zog ich meine Hand zurück und ich spürte direkt, wie meine Wangen erröteten. Zu meinem glück war es draußen bereits dunkel, wodurch er es nicht erkennen konnte.

Schnell verschränkte ich meine Hände ineinander in meinem Schoß, nicht dass ich wieder auf solche Gedanken kommen sollte.

Ich hätte mir jeder Reaktion gerechnet.

Dass er wütend wurde und zu schimpfen begann, dass er genervt schnaubte und die Augen verdrehte oder dass er garnichts sagte.

Aber definitiv nicht damit, dass er mein Handgelenk nahm, meine Hand halbwegs vorsichtig auf die Armlehne an der Mittelkonsole zog und seine Finger mit meinen verschränkte.

Seine große Hand hielt meine, seine Finger umklammerten meine fest.
Es fühlte sich an, wie ein wortloses versprechen, das er mir damit gab.

Ich räusperte mich leise.
"Sag mir wer das war." Verlangte er plötzlich und lenkte den Wagen mit einer Hand um eine scharfe Kurve.
Seine tiefe und männliche Stimme erfüllte den Innenraum des Wagens und mir lief ein Schauer den Rücken hinunter.
"Mein Vater." Sagte ich so leise dass ich meinte, er hätte es nicht gehört.

Ich spuckte das Wort förmlich aus, denn für mich war er schon lange kein richtiger Vater mehr.
Damián nickte.
"Und was hat er dir angetan?" Seine Stimme klang monoton, fast so, als würfe er mich wegen meines Handelns für dumm verkaufen.
Verwundert sah ich ihn an.

Doch dann schüttelte ich nur langsam den Kopf.
Ich konnte es ihm nicht sagen.

Die ganze Vergangenheit war ein Geheimnis. Ein Geheimnis, das nur meine Mutter und ich kannten.

Ich erinnerte mich nur zu gut an den Abend, an dem sie mir dies eingetrichtert hatte.

-Flashback-

Mein ganzer körper zitterte.
"Mami?" Flüsterte ich leise.
Meine Stimme war weinerlich.
Von ewigen tränen getränkt.

Tränen, die ich nie mehr vergessen würde.
Die Worte der vergangenen zehn Minuten.
Die Taten der vergangenen zehn Minuten.

Alles Dinge, die ich nie mehr vergessen würde.

Wie konnte ein Vater sein Kind in nur zehn Minuten zerstören?

Mit zitternden Beinen stand ich von dem kühlen Fußboden in meinem Zimmer auf.

Langsam ging ich auf die tür zu.
Immerwieder wischte ich mir die tränen mit meinem Pulloverärmel weg.

Das schöne pink färbte sich durch die nässe dunkel.
Ich starrte wie benommen darauf.

Der Pullover, den ich so geliebt hatte.

Call me "Mi Amor" Where stories live. Discover now