7.2 Ámmos - Sand

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Danach hörten sie nichts mehr von ihm. Theia suchte Medeias Blick. „Welcher Gott war das nur?", fragte sie.

„Ich weiß es nicht", antwortete sie. „Aber er spricht die Wahrheit, glaubst du nicht auch? Mit den Dingen, die uns hier erwarten?"

„Ich sehe keinen Grund, wieso er lügen sollte", meinte Theia. „Aber auch sehe ich keinen Grund, wieso er uns helfen sollte. Wenn ihm wirklich etwas an unserem Überleben liegen sollte, dann würde er uns doch leiten, oder nicht? Er würde uns aus diesem Höllenloch herausholen oder hätte verhindert, dass wir in erster Linie zu den Opfern für den Minotaurus geworden wären. So hätte es doch ein wahrer Gott getan, nicht?"

Medeia blickte auf ihre Hand, in welcher sie den Speer des toten Kriegers hielt. Ihre Schwester hatte Recht. Wenn den Göttern wirklich etwas an ihnen liegen würde, dann wären sie nun noch immer in ihrem sicheren Zuhause in Athen. Doch, dort hätten sie niemals zeigen können, was sie wirklich konnten... „Jeder Held muss Prüfungen überstehen, um sich zu beweisen. Vielleicht ist das hier unsere Prüfung? Was hatte der Fremde gesagt? Das Labyrinth ist tödlich und schwierig zu meistern, keine Frage. Aber wer es schafft, dem winkt nicht nur das eigene Gewicht in Gold, nicht wahr?" Ihre Augen leuchteten, als sie begriff, was er gemeint hatte. „Wenn wir hier lebend herauskommen, dann sind wir schon so gut Helden! Vielleicht können wir dann sogar auf den Olymp gehen!"

„Sag solche Dinge nicht", erwiderte Theia, doch sie konnte die Aufregung nicht aus ihrer Stimme verbannen. „Sterbliche auf dem Olymp", murmelte sie kopfschüttelnd, „nur die Edelsten unter uns haben je die Ehre überhaupt daran zu denken. Wir und auf dem Olymp..."

„Es wäre unglaublich", sagte Medeia. „Stell dir nur vor. Wir würden mit Apollo und Ares zusammen speisen können, die Musen würden für uns singen! Kannst du es vor dem Auge sehen, Theia? Der goldene Olymp mit all seinen Festlichkeiten, den Nymphen, die Speisen verteilen, der Gesang, die Spiele! All das könnte vielleicht auch uns gehören."

„Du träumst zu viel, Medeia", erwidere Theia, auch wenn sie nicht wirklich wütend klang. „Lass uns diese Gedanken nicht zu weit ausholen. Wenn es nicht eintreffen wird, dass wir je den Olymp besuchen dürfen, dann wird die Enttäuschung zu groß sein. Also lass den Traum Traum sein. Manche Träume sind nicht dafür geschaffen, dass sie in Erfüllung gehen."

Die Schwestern ließen das Thema fallen, doch Medeias Gedanken wollten nicht aufhören, sich um die goldenen Träume des Olymps zu drehen. Selbst, als sie wieder durch die steinernen Gänge liefen und den fremden Gott vergaßen, so wollte das Bild des strahlenden Palastes der Götter nicht verschwinden.

Mit jedem Gang, den sie hinter sich ließen, beschlich sie das Gefühl, dass jemand sie verfolgte. Sie meinte immer wieder das Echo fremder Schritte zu hören, die langsam aber beständig näherkamen, doch jedes Mal, wenn sie sich umdrehte oder den Blick über ihre Schulter warf, war der Pfad frei von Verfolgern. Mit festem Griff hielt sie ihren Speer umklammert und die Euphorie, die sie durch das Gespräch mit dem fremden Gott bekommen hatte, verflog langsam. Sie konnte und wollte nicht mehr aufhören, an den Olymp und an die Helden zu denken, die alle die goldenen Pforten durchschreiten durften, während sie hier auf der Welt gefangen war. Seit sie denken konnte, schwärmte Medeia für den Olymp und all seine Götter. Sie hatte noch nie ein Gebet ausgelassen, hatte dem Apollo immer für seine Fürsorge und seine Geschenke gedankt.

Doch jetzt wollte sie mehr. Vielleicht mehr, als ihr zustand.

Sie waren ewige Stunden gelaufen, so lang, dass sie schon nichts mehr von dem üppigen Mahl in ihren Bäuchen spürten in, da wurden die Schwestern müde. Müder, als sie es eigentlich sein dürften, denn sie hatten zwar einen schwierigen Tag hinter sich, aber etwas war anders. Diese Müdigkeit drang in ihre Knochen ein, ließ ihre Glieder und Lider schwer werden und jede Minute wollten sie gähnen und sich schlafen legen. Medeia hatte nicht einmal mehr die Kraft, sich darüber zu wundern, dass sie so müde war. Sie wollte sich einfach nur noch auf den Boden legen und die Augen schließen und am besten nie wieder öffnen.

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