13.2 Fóvos - Angst

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Der Klang der Stimme, von der Taras nicht sagen konnte, ob sie männlich oder weiblich war, hallte lauter als sein Atem, lauter als seine Schritte im Echo des Tunnels wider. Sie war dunkel und drohend, wie ein Sturm, in der nächsten Sekunde einlullend und sanft, wie das Wiegenlied einer Mutter. Dennoch versagten ihm vor Schreck die Knie und unsanft landete er auf dem Boden.

„W-Wer ist da?", fragte er mit trockenem Mund in die Dunkelheit.

„Fürchtest du dich?", erwiderte die Stimme mit einer Gegenfrage und jedes Wort löste in Taras einen Schauer aus. Eiskalter Schweiß ließ sein Hemd an seinem Rücken kleben. „Hast du Angst vor der Dunkelheit?"

„Wo ist mein Bruder?", brachte Taras hervor und schluckte mehrmals. Der Kloß in seinem Hals wollte nicht verschwinden. Seine Hände waren klamm und feucht. „Wo ist Orion?"

„Kinder sollten Angst im Dunkeln haben", surrte die Stimme leise und Taras spürte einen Luftzug an seinem linken Ohr, jedoch war er zu langsam, denn als er mit seiner Hand panisch danach schlug, spürte er nur die Schwärze um sich. Alles schien unbeweglich zu sein und doch hatte er das Gefühl, als würde jemand – oder etwas – um ihn herumschleichen.

Zitternd und blind richtete er sich auf. Mit den Händen stützte er sich an der Wand ab, die ihm gerade die Bestätigung gab, dass er noch immer in diesem schwarzen Gang stand. „Ich habe k-keine Angst."

Ein freudiges Lachen ertönte und schickte einen erneuten, eiskalten Schauer seinen Rücken hinab. Taras atmete schwer.

„Jeder hat Angst. Und du ganz besonders." Es klang so, als würde der Besitzer der Stimme glücklich auf und ab springen. „Wo ist nur dein Bruder?"

„Wo ist Orion?", fragte Taras laut und schlug erneut mit der Hand aus, teilte aber nur die Luft. „Zeig dich!"

„Du kannst mich nicht sehen", erwiderte die Dunkelheit. „Ich bin immer da. Aber ich habe keine Form."

„Wer bist du?" Taras' Stimme erblasste wie Herbstlaub, welches von einem Windstoß durch die Luft gewirbelt wurde. Im Moment fühlte er sich nur so kräftig wie ein brüchiges Blatt.

„Du kennst mich. Ich bin das Schwert, das deinen Vater ersticht. Ich bin das Monster, das deine Mutter entführt." Es klang so, als würde die Stimme näherkommen. Ein Atem streifte seine Wange und Taras drückte sich näher an die Wand, machte sich so klein es ging. „Ich bin das Ding unter deinem Bett", flüsterte er und dieses Mal war er sich sicher: Er hatte gespürt, wie etwas nach ihm gegriffen hatte.

„Verschwinde!", schrie Taras panisch und schlug um sich. Die Tränen, die er bisher erfolgreich zurückgehalten hatte, quollen aus seinen Augenwinkeln, benetzten seine Wangen und hinterließen einen bitteren Beigeschmack, dass Taras sich schwächer als ohnehin schon fühlte.

Ohne auf seinen Aufschrei einzugehen, sagte die Stimme leise flüsternd: „Und ich bin das Ding, das deinen Bruder bekommen wird." Heiseres Lachen erfüllte den Gang. Echo knackte in Taras' Ohren und ließ seine Knie wieder zittern. Mehr und mehr Tränen flossen seine Wangen hinab und tropften auf seine bebende Brust.

„Gib ihn zurück", schluchzte er und ließ sich an der Wand entlang auf den Boden gleiten, die Knie angewinkelt und den Kopf in den Armen gebettet. „Gib mir meinen Bruder zurück."

„Wenn du meinen Namen sagst, könnte ich darüber nachdenken", flötete die Stimme zurück, singend und donnernd zugleich.

„Aber ich kenne dich nicht", sagte Taras weinend. „Ich will nur m-meinen Bruder zurück."

Ein Geräusch, fast wie ein genervtes Stöhnen erklang, dann lachte die Stimme noch einmal auf. „Denk nach", gab sie ihm zurück. „Denk nach und du kommst darauf, wer ich bin."

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