12.2 Skotádi - Dunkelheit

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Mit dem wiederholenden Echo ihrer Schritte in seinen Ohren, war es für Dias ein Leichtes sich so weit von der Umgebung abzukapseln, dass er zwar seinen Gedanken nachhängen aber nicht das Gegenwärtige ignorieren konnte. Die Worte seiner verletzten Kameradin hallten immer noch in seinem Kopf nach. Er befürchtete, dass sie sich den Tod als eine Art Erlösung herbeisehnte, weil sie von ihnen nicht als schwach gesehen wollte.

Er wusste nicht, was es mit ihrer Truppe anstellen würde, wenn das Fieber oder ihre unbehandelte Wunde sie dahinraffen würde. Sotiris, der Vaia die ganze Zeit über allein stützte, warf ihr immer wieder flüchtige, besorgte Blicke zu, so als müsste er sich vergewissern, dass es ihr noch immer gut genug ging. Dias konnte nicht sagen, ob Elara ebenfalls mitbekommen hatte, dass Vaia krank war. Das kleine Mädchen hatte noch immer den gleichen, entsetzt-ängstlichen Gesichtsausdruck wie sie ihn auch zum Anfang gehabt hatte.

Immerhin in einer ihrer Prognosen lag Vaia falsch. Sie kamen sogar noch schneller voran, als zuvor, denn in Sotiris und Dias war ein Ehrgeiz geweckt worden, so eilig wie möglich voranzuschreiten. Ob der andere Junge sich ebenfalls eine Möglichkeit der Heilung oder lediglich den Ausgang erhoffte, konnte er allerdings nicht sagen.

Obschon es sich anfühlte, als wären sie erneut für Stunden unterwegs gewesen und Dias' Füße unter der Last seines Körpers bereits wieder anfingen nachzugeben, war um sie herum eine erdrückende Stille eingekehrt, die auf seine Ohren drückte, als würde er sich mehrere hundert Fuß unter der Wasseroberfläche befinden.

Es war keine gute Stille. Energiegeladen von der Gefahr, die allgegenwärtig war, richtete sich jedes von Dias' Härchen auf, sobald er auch nur das leiseste Geräusch vernahm, dessen Ursprung er nicht ausmachen konnte. Die Luft schien vor Anspannung zu knistern und sie entlud sich komplett, als ein weiterer Raum vor der langsam vorankommenden Gruppe zum Vorschein kam. Wie ein einziges Wesen stießen sie den Atem aus, als sie den Anblick, der sich ihnen dort bot, verarbeiteten.

„Wow", hauchte Sotiris ungläubig und lockerte sogar den Griff um Vaias Arm etwas.

Die ganze Räumlichkeit hatte das Ausmaß eines Thronsaals, bei dem selbst König Minos erbleicht wäre. Pechschwarze Steinfliesen bedeckten den Boden, verschwanden in der Dunkelheit und verschmolzen schließlich mit den Schatten, sodass sich ein Bild der Unendlichkeit erbot, wie ein endloses Meer aus Düsternis. Die Wände dieses sonderbaren Raumes waren aus ebenso schwarzem Stein, allerdings zogen sich grellweiße Blitzlinien in alle Richtungen, fast so, als hätte Zeus persönlich einen seiner Gewitterblitze dort einschlagen lassen. Aus den Linien strömte sanftes Licht, aber es wirkte kalt und unecht und Dias fröstelte bereits jetzt schon.

Säulen so dick wie Baumstämme ragten schier unendlich in zwei Reihen in die Höhe, verwoben sich mit den Schatten, die die Decke versteckten und gaben dem Raum einen unwirklichen, beinahe überirdischen Ausdruck. Es sah in diesem Moment nicht mehr aus, als würden sie sich noch im Labyrinth von Dädalus befinden. Hier sah es aus, wie in einer ganz anderen Welt, fernab von Kreta.

„Was ist das für ein Raum?", fragte Vaia atemlos und belastete ihren verletzten Oberschenkel, um die Last ein wenig von Sotiris zu nehmen.

„Es wirkt wie in einem Traum", flüsterte Elara ehrfurchtsvoll, trat aber einen zitternden Schritt zurück.

„Das ist mir nicht geheuer", murmelte Sotiris. Er zog umständlich sein schartiges Schwert hervor. „Wir sollten einen anderen Weg nehmen."

„Das geht nicht", erwiderte Dias, der sich allerdings ähnlich unwohl wie der andere Junge fühlte. Eine Gänsehaut hatte sich seine Arme hinaufgeschlichen. „Der andere Weg führte in die Sackgasse und zurück können wir nicht."

Sotiris biss sich auf die Lippen und zog die Augenbrauen zusammen. „Also müssen wir hier durch?", presste er durch seine fest aufeinandergedrückten Zähne hervor. „Uns bleibt gar nichts anderes übrig?"

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