20.3 Archí - Anfang

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„Wer da!?", schrie Vaia hoch.

„Gerade noch redet ihr über mich und jetzt willst du mich nicht kennen?", erwiderte die Stimme und eine Hitze, als wären einhundert Bullen aus Kolchis dabei, ihren Flammenstrahl in die Luft zu feuern, ergriff den Raum.

Stein und Säulen zergingen in einem Inferno aus lodernd heißen Flammen und ein Schrei, wie von tausend brüllenden Fanfaren, erfüllte die Welt um sie herum. Der Geruch von Metall, Rauch und Asche drang durch jede letzte Ritze. Ihre panischen Schreie gingen im Chaos unter. Er verlor seine Freunde aus den Augen. Dias hatte das Gefühl, als würde er bei lebendigem Leibe mit heißem Gold übergossen werden, dann –

„Seht auf, sterbliche Kinder", ertönte die Stimme erneut. Flammen, Fanfaren und Rauch verschwanden mit einem Augenaufschlag. Vor den Kindern thronte eine weitere Gottheit.

Hephaistos war kleiner als Erebos. Aus seinem Schädel sprossen einige aschgraue Haarsträhnen, allerdings waren sie dünn und spröde, als würde er keinerlei Pflege aufwenden. Seine Haut war dunkel und fleckig, übersät mit schwarzen Leberflecken und hellem Schmutz. Die anderen Götter hatten alle ebenmäßige Gesichter, waren gutaussehend oder schön, aber Hephaistos' Kopf war deformiert. Der Schädel war eingedellt, als wäre er mit einem Stein getroffen worden. Sein rechtes Auge lag tiefer als sein linkes, hatte zudem eine hellere Verfärbung und schielte. Eine rote Narbe zog sich durch seine Haut, schnitt tief durch seinen Mund und endete unterhalb seines Kinns. Ein lichter, schwarzer Bart fiel bis unterhalb seines zu kurzen Halses. Er trug eine schwarze Lederschütze und um seinen linken muskulösen Arm war ein braunes Tuch gebunden. Hephaistos' Gliedmaßen waren kurz und gediegen. Er stand merkwürdig krumm und stierte die Kinder vor sich an.

Vaia fand ihre Stimme nicht. Sie starrte mit weitaufgerissenen Augen auf den Gott und sah aus, als würde sie an Schnappatmung leiden. All ihre Träume wurden gerade vor ihren Augen wahr.

„Es ist unhöflich zu starren, Kind", sagte Hephaistos mit dröhnender Stimme, aber ein klares Lachen war herauszuhören.

Dias schreckte zurück, als der Gott der Schmiedekunst seine schiefen Zähne zeigte.

„Jetzt schaut doch nicht so, als hättet ihr noch nie einen Gott gesehen!", polterte er.

„Was macht Ihr hier?", fragte Sotiris, der seine Stimme und seinen Mut als erster wiedergefunden hatte.

Hephaistos wandte ihm das deformierte Gesicht zu. Dias fiel es schwer, sich auf das Gesamtbild zu konzentrieren, wenn ihm all Unebenheiten ins Auge fielen, aber der Neuerschienene schien es gewohnt zu sein, seltsame Blicke zu ernten, wann immer er auftauchte, denn er sagte nichts dazu.

Der Gott seufzte. „Vielleicht habe ich mich doch geirrt", brummte er. „Oder wollt ihr mir jetzt weismachen, dass ihr eure Wahrheit schon wieder vergessen habt?"

„Unsere Wahrheit?", fragte Elara irritiert.

Ein donnerndes Stöhnen erklang im Echo des Raums, Hephaistos verdrehte die Augen. „Die Theorie des Mädchens", erwiderte er und gestikulierte mit seiner narbigen Hand auf Vaia, die wie vom Blitz getroffen dasaß. „Über mich und Dädalus und das Labyrinth. Gerade noch habt ihr doch heißblütig darüber diskutiert. Schon wieder vergessen?" Er zog eine versengte Augen in die Höhe.

„Ich – ich habe Recht?", flüsterte Vaia hauchzart und drückte sich ein wenig mehr gegen die Steinsäule.

„Natürlich, Mädchen!", donnerte Hephaistos.

„Unfassbar", hauchte Sotiris. Seine Stimme riss Dias aus seiner Starre.

„Glaubst du so wenig an deine eigenen Kameraden, dass du es nicht fassen kannst?", richtete der Gott seine Worte an den Jungen. Ein verschmitztes Grinsen war auf seinen Lippen erkennen und vielleicht war es der bloße Anblick eines lächelnden Gottes, aber Dias rutschte ein eiskalter Schauer den Rücken hinab. „Sie hat vollkommen Recht mit allem, was sie gesagt hat. Glückwunsch, Mädchen."

LavýrinthosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt