16.2 Skiá - Schatten

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Nein. Dias würde nicht zulassen, dass es so enden würde. Seine Füße flogen flink über den Stein und er wich den klauenbesetzten Tritten des schattenhaften Mannes aus, der ihn zwar nur langsam, dafür aber stetig verfolgte. Was es an Schnelligkeit oder Behändigkeit fehlte, machte das Wesen mit Ausdauer wett. Dias wusste nicht, ob die Klauen ihn verletzen konnten, aber er hatte nicht das Verlangen danach, es herauszufinden. Irgendetwas musste er tun können. Er konnte dem Wesen nicht ewig ausweichen, denn irgendwann würde er im Gegensatz zum Schatten müde würden. Seine Bewegungen würden langsamer werden.

Sein Blick flog zu Vaia. Schwarze Schattentropfen bedeckten ihre Arme und den Bauch. Sie war nicht weiter versunken, wofür er ein Stoßgebet an die anderen Götter schickte, dennoch wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sie vollkommen verschwunden wäre. Und das wäre das Letzte, was er wollte und zulassen würde. Solange er stehen konnte, würde er alles in seiner Macht stehende versuchen, um Vaia da rauszuholen.

„Wir müssen etwas tun!", rief er unnötigerweise und versuchte erneut, den Schattenmann mit seinem Schwert zu durchschneiden. Die Schneide glitt durch die wandelnde Dunkelheit wie durch Luft und er sprang einen Schritt zurück. Der Atem ging ihm schwer, Schweiß tropfte von seiner Stirn und seine Haare klebten ihm unangenehm an der heißen Haut.

„Und was?", brüllte Sotiris zurück, der damit beschäftigt war, den schnellen Hieben des pechschwarzen Schattenlöwen auszuweichen. „Sie sind immun gegen unsere Waffen!"

„Hab ich mitbekommen!", erwiderte Dias laut. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Aber irgendetwas muss doch gegen diese Dinger wirken!"

„Sag mir Bescheid, wenn du es herausgefunden hast", knurrte der andere Junge und Dias erlaubte sich ein flüchtiges Lachen in dieser schwarzen Stunde.

Der kurze Schlagabtausch zwischen ihm und Sotiris entflammte neue Kraft in seinem Herzen. Mit einem grimmigen Grinsen verfestigte er den Griff um sein Schwert und blickte den armlosen Schattenmann herausfordernd an. Das Wesen legte den Kopf schief, als würde es nicht ganz verstehen, was er von ihm wollte, dann kam es auf ihn zugewankt.

„Elara, bist du okay?", konnte er Sotiris rufen hören. Einen Augenblick später blickte er sich um und entdeckte das Mädchen, wie sie vor dem Greifvogel floh. Sie hielt noch an ihrer Waffe fest, aber Dias konnte sehen, dass sie von Angst zerfressen war. Tränen glitzerten auf ihren Wangen.

„Schneller", presste der Junge zwischen den Zähnen hervor und Sotiris nickte grimmig. Mehr brauchte es nicht zwischen ihnen, damit sie wieder ihren Gegnern zuwandten und mit ihren Schwertern nach ihnen schlugen.

Dias erlaubte sich erneut einen Blick zu Vaia. Mit Entsetzen stellte er fest, dass sie bis zum Bauchnabel versunken war und panisch hin und her schaukelte, als hätte sie die Hoffnung, sich damit zu befreien. Ihr Gesicht hatte die Farbe von Eis angenommen. Wenn er nichts unternähme, dann würde sie das Fieber dahinraffen, bevor der Schattenbrunnen seine Chance dazu bekommen würde. Er versuchte ihre Augen mit seinen eigenen zu erreichen, aber Vaia blickte sich lediglich voller Panik im gesamten Raum um. Was sie sich davon erhoffte, konnte er nicht sagen, aber er hatte nicht die Zeit, sich darauf zu konzentrieren.

Der Schattenmann hatte aufgeschlossen und versuchte seine pechschwarzen Klauen in seinem Bein zu versenken. Dias wich mit einem Sprung nach hinten aus und landeten inmitten eines Kreises aus dunkelgrauen Linien, die auf dem Boden umherwirbelten und unendlich viele Muster bildeten. Er verengte die Augenbrauen, wurde jedoch von einem spitzen Schrei abgelenkt.

Elara war gestürzt. Der Bogen fiel ihr mit einem klappernden Geräusch aus der Hand und rutschte über den Stein davon. Bedrohlich plusterte sich der Greifvogel vor dem Mädchen auf, richtete seinen dunklen, schwarzen Schnabel auf sie und war drauf und dran, sie sie damit aufzuspießen.

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