17.1 Ékstasi - Trance

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Als Taras die Augen schloss, ertrank er. Schwarzes Wasser drang in seinen Mund ein, füllte seinen Lungen aus, presste jedes Quäntchen Luft aus seinem Köper. Ein heiseres Flüstern, so leise und sanft wie ein Windhauch, umhüllte ihn, spielte mit seinen Sinnen, wisperte ihm zu.

Du bist schwach. Dein Bruder hasst dich. Deine Eltern sind froh, wenn du stirbst. Sie wollten dich nie. Du bist schwach. Du bist eine Last für all jene die sich mit dir umgeben. Eine Last, eine Blamage. Niemand will dich, keiner wollte dich je. Warum sollten sie dich brauchen? Du bist schwach. Schwach. Schwach...

Das Atmen war ihm unmöglich. Die rettende Luft war außer Reichweite und um ihn herum existierte nur das schwarze Meer und der endlose Abgrund, auf den er immer weiter zutrieb. Egal, wie viel Kraft er aufwendete, jede seiner Bewegungen wurde kraftloser, Er konnte sich nicht retten. Alles um ihn herum verlor an Farbe; wurde dunkler und luftloser. Seine Sinne verließen ihn. Das Wasser drückte ihn in den Abgrund, wollte ihn ersticken, ihn vernichten und nie mehr gesehen machen...

Mit einem Schrei erwachte Taras. Keuchend riss er seine Augen auf. Schweiß bedeckte jedes Fleckchen Haut an seinem Körper. Er war sich nicht mehr sicher, ob er aufgrund der Kälte oder seiner eigenen Angst zitterte.

Taras richtete sich vorsichtig auf. Mit der rechten Hand wischte er sich über die Stirn und schmierte dann die Schweißtropfen an seiner Hose ab. Angst packte mit eiskalten Fingern nach seinem Herzen, drückte fest zu und ließ seinen Atem panisch flach werden. Sein Blick fiel auf seinen schlafenden Bruder neben sich. Ohne, dass er es gewollt hatte, hatte er seine linke Hand in dessen Arm gekrallt; hielt ihn so fest, als würde er wieder verschwinden, sollte er loslassen. Phobos hatte gesagt, er würde immer und überall anwesend sein und hätte keine Form. Aber er hatte ihm auch gesagt, dass Angst keine Schwäche war. Wenn er sie akzeptierte, dann könnte er sie als Waffe gebrauchen. Wie genau er das tun sollte, war ihm noch nicht klar.

Taras wischte sich erneut übers Gesicht und blickte durch den Gang. Ob es abends gewesen war, als sie sich schlafen gelegt hatte, wusste er nicht. Sein Zeitgefühl war genauso wie seine Orientierung verloren. Sein Körper war gerädert. Jedes seiner Gliedmaßen fühlte sich so an, als hätte sich einer der Titanen darauf niedergelassen und sein Rücken schmerzte vom harten Untergrund, auf dem er geschlafen hatte.

„Phobos", flüsterte der Junge in die Luft. „Wie kann Angst eine Waffe sein?"

Er hatte keine Antwort erwartet, dennoch enttäuschte ihn die darauffolgende Stille. Die Knie schob er an seinen Körper und legte den Kopf darauf ab. Natürlich würde die Personifikation der Angst ihm nicht antworten. Er war nur ein unbedeutender Junge und hatte nichts vorzuweisen, was ihn in irgendeiner Weise als würdig erwies. Sein Bruder war besser im Kampf. Er war stärker, schneller und ausdauernder. Taras brüstete sich lediglich damit, dass er etwas intelligenter als Orion war, aber das würde ihm nicht viel helfen, wenn ihn der Minotaurus verschlingen wollte.

„Wie lange bist du schon wach?" Orions Stimme riss ihn aus seinem Halbschlaf.

Taras' Nacken schmerzte, als er den Kopf müde anhob. Vielleicht war es seine Einbildung, aber er hatte das Gefühl, dass die Lichtverhältnisse besser geworden waren. Alles war heller und schärfer. Irgendwie war ihm wärmer, als hätte jemand ein warmes Feuer in seinem Körper entfacht, welches ihn nun von innen langsam aufheizte.

„Keine Ahnung", sagte er ehrlich und rieb sich die müden Augen. „Du?"

Orion zuckte mit den Schultern und legte sich eine Hand übers Gesicht. Er sah müde aus. Älter. Als hätte die wenige Zeit, von der er nicht einmal wusste, wie viele Tage es waren, ihn um Jahre altern lassen. Das war zwar sein Bruder, aber er war ein anderer Mann geworden, seitdem sie angekommen waren. Was auch immer das Labyrinth mit den Menschen anstellte, bisher hatte es bei Taras nicht besonders viel Wirkung gezeigt. Selbst die kleine Aigis hatte an Mut gewonnen und sich ihrer Angst gestellt.

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