15.1 Diamáchi - Streit

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Nur schwerfällig löste sich Medeia von ihrer nach verbranntem Stoff stinkender Schwester. Der beißende Geruch des Feuers vermischte sich mit dem von Schweiß und Urin, wodurch ihre Münder und Nasen unangenehm kitzelten.

Noch immer konnte Medeia nicht fassen, was ihre Schwester getan hatte. Sie war todesmutig durch die Wand aus Flammen gesprungen, in der vagen Hoffnung, sie damit aufzuhalten und sie, ihre kleine Schwester, zu retten. Sie mochte sich gar nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn Theias Plan nicht aufgegangen wäre. Sie wusste nur, dass sie dann nicht mehr hätte um sie weinen müssen. Nie wieder.

„Bist du verletzt?", fragte sie mit leiser Stimme und betrachtete den Körper ihrer Schwester.

„Ich bin in Ordnung", murmelte Theia. „Mir ist nur ein bisschen heiß."

„Bist du sicher?", erwiderte Medeia besorgt. „Du bist mitten durch die Flammen gesprungen..."

„Ich weiß, aber es ist wirklich nichts. Du kannst gerne nachschauen." Wie um es zu beweisen, hob Theia ihre Arme hoch und präsentierte ihrer Schwester ihre unversehrte Haut, an der lediglich die helle Behaarung verbrannt war, wie sie bei der Umarmung gespürt hatte. „Schon erstaunlich, nicht?", fragte sie mit einem halben Lächeln, als Medeia aufblickte.

„Bestimmt hat ein Gott über uns gewacht", hauchte die Jüngere. „Vielleicht sogar der namenlose Mann."

„Möglich wäre es", gab ihre Schwester nach kurzer Überlegung zu. „Aber vielleicht hatte ich auch nur Glück. Ich war nicht sehr lange mit dem Feuer in Berührung, also könnte das auch geholfen haben."

„Es ist trotzdem erstaunlich."

Sie zuckte beim Klang von Aineas' zittriger Stimme zusammen. Für einen Moment hatte Medeia vergessen, dass er bei ihnen war.

Der größere Junge hatte sich aufgerappelt und kam mit hochrotem Gesicht zu ihnen herüber. „Du hast unser Leben gerettet", murmelte er.

„Jetzt sind wir quitt", erwiderte Theia barsch, aber ihr Gesichtsausdruck verlor an Härte. „Außerdem hab ich nur getan, was getan werden musste."

„Aber keiner hat dich darum gebeten", entgegnete er verstimmt.

„Dich hat doch auch keiner darum gebeten, uns vor dem Sand zu retten", sagte Theia mit einer erhobenen Augenbraue. „Oder?"

„Nein." Aineas rieb sich den Hinterkopf. Seine Augenbrauen waren angesengt, sodass er einen konstant erstaunten Gesichtsausdruck hatte. „Du hast Recht. Danke", fügte er leiser hinzu.

Augenscheinlich fiel es ihm schwer, seine Dankbarkeit anderen gegenüber zu zeigen.

Oder er versinkt vor Scham im Boden, weil er sich benässt hat, murmelte die hämische Frauenstimme in ihren Gedanken. Medeias Wangen wurden heiß. So ein großer Junge und dennoch benimmt er sich wie ein kleines Kind.

Sie biss sich auf die Lippe und schüttelte vehement den Kopf, um die Stimme loszuwerden.

„Alles gut?", fragte Theia leise.

Medeia zuckte zusammen.

„Ja, alles bestens. Nur ein kurzer – äh – Kopfschmerz", log sie eilig und setzte ein Lächeln auf.

„Wir sind schon ziemlich lange unterwegs", sagte die ältere der beiden nach kurzer Bedenkzeit. „Ich glaube, wir sollten uns langsam einen Ort suchen, an dem wir wieder etwas schlafen können." Sie legte Medeia eine Hand auf die Schulter und lächelte sie an.

„Gute Idee", erwiderte sie lahm.

Theia hob Aineas' Schwert auf, welches sie fallengelassen hatte, als Medeia sie umarmt hatte und gab es dem Jungen wieder.

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