11.1 Thermótita - Hitze

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„Du hast uns gerettet", keuchte Theia erschöpft und ermüdet, aber vom Schock lebendig begraben worden zu sein, weitestgehend erholt. „Du hast uns tatsächlich gerettet."

„Immer noch, ja", erwiderte Aineas, der sich Sand aus den Haaren wischte. Seine strahlend blauen Augen durchkämmten den Gang, in dem sie standen, der mit dem grobkörnigen Sand vollgelaufen war, der sie und ihre Schwester nur wenige Augenblicke zuvor fast erstickt hätte. „Ich konnte euch ja schlecht sterben lassen..."

„Du bist ja doch ein anständiger Kerl", kommentierte Medeia. Sie lächelte ihn zutiefst dankbar an. „Ohne dich wären wir tot. Danke."

„Ja, danke", fügte Theia knurrend an, auch wenn es ihr allem Anschein nach überhaupt nicht gefiel, Aineas für ihre Rettung zu danken. Sein Verhalten, direkt nachdem man sie im Labyrinth zurückgelassen hatte, hatte sie nicht so schnell vergeben, wie Medeia. „Aber warum warst du überhaupt hier? Bist du uns gefolgt?"

Ein Hauch von Rosarot schlich sich auf seine hohen, blassen Wangen, aber er schaute genau auf die beiden Schwestern, die eng beieinanderstanden und sich mit der Anwesenheit der jeweils anderen versuchten zu beruhigen. „Bin ich", sagte er, ohne den Blickkontakt abzubrechen. „Ich... ich war... einsam. Und ich... wollte mich entschuldigen."

„Ach?" Theia verschränkte die Arme ineinander und blickte den älteren Jungen herausfordernd und beinahe aggressiv an. „Wieso das?"

„Weil ich – weil ich eingesehen habe, dass ich falsch lag", antwortete Aineas ihr mit gedrückter Stimme. Er kaute einen Augenblick auf seiner Lippe herum, dann seufzte er. „Es tut mir leid, wie ich euch behandelt habe. Ich habe... ich habe mich überlegen gefühlt, aber das war falsch. Allein sehe ich keine Überlebenschance in diesem Höllenloch. Ich hätte mich fast verlaufen, während ich euch gefolgt bin. Das Schwerttraining in meiner Heimat konnte mich unmöglich auf das vorbereiten, was hier drin lauert. Der Minotaurus... ein solch grässliches Wesen habe ich noch nie gesehen."

Medeia betrachtete Aineas, während Theia noch etwas näher an ihre Schwester heranrückte, den Blick nicht von dem Jungen lassend. Es wirkte nicht so, als würde er sie verhöhnen oder ihnen eine Lüge auftischen wollen. Obwohl er versuchte, die Emotionen aus seinen Gesichtszügen zu verbannen, konnte sie es an seinen Augen erkennen. In ihnen konnte sie keine Lüge erkennen. Seine Pupillen hatten bei der Erwähnung des Minotaurus gezittert, fast so, als würde ihn die Angst verfolgen, das Monstrum könnte hinter der nächsten Ecke erneut auf sie warten, das Maul voller Geifer und die breiten Stoßzähne mit dem Blut seiner letzten Opfer getränkt. Sie konnte nicht wissen, was er in der Zeit gesehen hatte, in der er nicht bei ihnen gewesen war. Gegen welche Schrecklichkeiten er antreten, welche Fallen er überwinden musste, welche Grauen sich ihm in den Weg gestellt hatten. Hatte auch er das vergiftete Mahl passieren müssen, ohne davon zu kosten? Hatte ihm der namenslose Gott ebenfalls gratuliert? Oder war sein Weg doch frei von Gefahren gewesen?

„Ich weiß, mein Verhalten war unentschuldbar", fuhr er langsam fort, jedes Wort wohl bedacht. „Aber ich hoffe trotzdem, dass ihr mir verzeihen könnt. Und mich... noch dabeihaben wollt."

„Du warst ein ziemlicher Sturkopf", meinte Theia kühl und Medeia wollte schon eingreifen, aber dann fügte ihre ältere Schwester wohlwollend hinzu: „Aber du hast unsere Leben gerettet und dafür stehen wir in deiner Schuld. Außerdem sind unsere Chancen höher, wenn wir uns zusammentun."

Der Anflug eines Lächelns schlich sich auf ihre Züge und Medeia konnte sehen, dass Aineas ein Stein vom Herzen fiel. Erleichtert stieß er die Luft aus, die er angehalten hatte, als Theia angefangen hatte zu reden und erwiderte den Versuch ihrer Freundlichkeit mit einem Grinsen seinerseits. Medeia seufzte vor Erleichterung.

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