26.2 Pónos - Schmerz

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Ohne, dass Dias seine Schritte gehört hatte, stand Sotiris plötzlich hinter ihm, eine Hand sanft in seinen Nacken gelegt, die andere an seiner Hüfte. Dias zuckte unwillkürlich zusammen, als der andere Junge ihn aus seinen Gedanken riss und herumdrehte. Ihre Blicke verhakten sich ineinander und er erschauderte.

„Ich kann es mir nicht erlauben, zu warten", murmelte Sotiris und sein heißer Atem streifte Dias' Wange. „Wir könnten jeden Moment sterben und ich will nicht – ich will nicht noch eine Chance ungenutzt lassen. Ich muss nicht nervös sein, wenn du es nicht bist."

Dias öffnete den Mund, aber kein Laut entkam ihm. Jetzt nahm die Erregung ihn ein; seine Hände zitterten und schwitzten, sein Herz fing an zu rasen.

„Darf ich?", fragte Sotiris vorsichtig. Er biss sich auf die Unterlippe und seine Mundwinkel zuckten. Seine Augen glänzten im sanften Schein des Gangs, ein schwaches Glitzern unterhalb seiner Pupillen. Das lautlose Bitten in seinem Blick war klar verständlich: Sag ja, sag ja, sag ja.

Dias schluckte. Sein Körper fühlte sich schwerelos an, als er Sotiris anschaute. Die Wangen des anderen Jungen waren mit hellen, roten Tupfern gespickt. Seine Finger strichen sanft aber bestimmend über Dias' Nacken, malten kleine Kreise auf seine Haut. Ihm wurde gleichzeitig heiß und kalt.

„Sag etwas", forderte Sotiris ihn auf, die Stimme nur ein Flüstern. „Irgendwas."

„Tu es", erwiderte Dias hauchzart.

Sotiris' Lippen waren spröde und trocken, als er sie auf Dias' drückte, aber das interessierte ihn nicht. Er schloss die Augen und wünschte sich, den Moment in ewiges Eis einschließen zu können, damit er nie vergehen würde. Irgendwo in seinem Magen explodierten die Schmetterlinge, sein Kopf sprühte über vor Lichtern und Fackeln und seine Knie gaben fast nach. Es war nur ein kurzer und zarter Kuss.

Dias wollte sofort mehr. Er schlang die Hände um Sotiris' Nacken und zog den Jungen etwas tiefer zu sich. Dieser japste überrascht auf, das Geräusch ging in ein freudiges Lachen unter und dann lagen ihre Lippen wieder aufeinander. Hungriger, verlangender, schmeckender. Süßer.

Sie stolperten zurück, Sotiris' Hände in seinem Nacken und an seiner Hüfte und auf einmal presste kaltes Metall gegen Dias' Rücken. Die Kälte des Golds verwandelte sich schneller in brennende Hitze, als Dias überhaupt realisiert hatte, dass sie bis zum Tor zurückgestolpert waren.

„Skatá!", rief der Junge mit schmerzerfülltem Gesicht aus. Der Gestank von versengtem Stoff drang ihm an die Nase. Tränen traten ihm in die Augen.

„Was ist?", fragte Sotiris besorgt. „Hab ich dich gebissen? Tut mir leid, ich wollte nicht –"

„Nein", zischte Dias und schob den anderen Jungen mit sich vom Tor weg. „Du warst gut, aber das Tor", er stockte und tastete mit seinen Fingern vorsichtig nach seinem Rücken. Es fühlte sich nicht schmerzhaft an, zum Glück. Er war schnell genug von der plötzlichen Hitze weggesprungen, um nicht verbrannt zu werden. Es erinnerte ihn an seine Kindheit, als er trotz der Warnungen einer Mutter an den heißen Herd gefasst hatte.

„Ich war gut?" Sotiris' selbstgefälliges Grinsen hatte sich in seine Stimme geschlichen, konnte die Sorge aber nicht ganz übertönen.

Dias verdrehte die Augen und sah auf das goldene Tor. Es sah unverändert aus.

„Was ist passiert?"

„Ich bin nicht sicher", murmelte Dias. „Als du mich gegen das Tor gedrückt hast, ist es auf einmal wahnsinnig heiß geworden." Er stieß einen kurzen Seufzer aus. „Was auch immer das jetzt bedeuten soll."

Sotiris trat dicht neben ihn. Hitze ging von seinem Körper aus, wesentlich angenehmer als das Gefühl von schmelzendem Metall auf seiner Haut. „Es muss ein Hinweis sein", sagte er leise.

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