13.1 Fóvos - Angst

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Das Blut, welches von Taras' Handflächen tropfte, färbte den Boden und hinterließ auf seiner Kleidung dunkelrote Flecken. Blutige Abdrücke waren dort zu sehen, wo er vor kurzem seine Hände in den Rücken seines Bruders gekrallt hatte. Das trockene Schluchzen von Orion war verklungen, aber die Tränenspuren auf seinen staubverdreckten Wangen waren immer noch zu erkennen, auch in dem schummrigen Licht des zerstörten Kampffeldes.

„Hier, warte", sagte Taras' Bruder leise. Das Echo des kürzlich beendeten Kampfes war zwar schon lange verklungen und Stille war in den Gang eingekehrt, dennoch traute sich keiner von ihnen die Stimme zu erheben, aus Angst, etwas anderes würde sie hören können. Orion packte etwas von seinem Hemd, das unterseits seiner Hüfte hing und riss einen breiten Streifen davon ab. Er tat sein Bestes, um die gröbsten Rückstände von Schmutz herauszuklopfen, dann schnitt er den Stoff mit seinem Schwert in zwei ungefähr gleich große Stücke. „Deine Hände", befahl er kurz angebunden.

Taras streckte seine blutigen, zitternden Hände aus und sein Bruder beeilte sich, sie vorsichtig mit den Stofffetzen zu verbinden. Das raue Material tat seiner verletzten Haut nicht unbedingt gut und er zuckte zusammen, als Orion den behelfsmäßigen Verband fest zusammenknotete.

„Tut mir leid", murmelte Orion und hielt die nun verbundenen Hände seines Bruders einen Augenblick länger als benötigt umschlossen. „Mutter hätte es besser hinbekommen." Seine Stimme versagte und er räusperte sich vernehmlich.

„Schon gut", erwiderte Taras lächelnd. Dann, als ihm wieder einfiel, dass sie nicht nur zu zweit waren, wandte er sich an Aigis, die abseits der Brüder stand und ihren Bogen so fest umklammerte, dass ihre Hände zitterten. Oder vielleicht zitterten sie wegen des Anblicks des Bronzeadlers, dessen zerstörter Kopf Dampfschwaden in halb durchsichtigen Spiralen zur Decke schickte. „Bist du unverletzt?", fragte er an sie gewandt und als sie nicht reagierte, fügte er etwas lauter hinzu: „Aigis?"

Die Angesprochene zuckte zusammen und richtete ihre Augen auf den einen Bruder. Auf die wenigen Schritte Entfernung, die zwischen ihnen herrschten, konnte er es zwar nicht genau ausmachen, aber Taras meinte zu erkennen, dass Aigis' Augen noch immer aufgeregt, panisch und beinahe von Todesangst erfüllt auf und ab hüpften, als wäre die Gefahr nicht schon längst gebannt, als befürchtete sie, dass der Adler wieder zum Leben erwachen und sie mit Haut und Haar verschlänge, sobald sie sich bewegte oder nur ein Geräusch von sich gab.

„Aigis?", fragte Taras noch einmal, noch lauter als zuvor.

„Ich bin okay", flüsterte sie mit piepsiger Stimme, aber der verkrampfte Griff um ihre Waffe lockerte sich nicht.

„Was ist denn?" fügte Orion an das kleine Mädchen gewandt hinzu. „Wir haben gesiegt und der Weg ist frei! Es gibt keinen Grund dafür, dass du so traurig sein musst."

Obschon er seine Worte etwas freundlicher hätte auswählen können, musste Taras seinem Bruder zustimmen. Im Moment gab es nichts, was ihnen schaden wollte. Sein Blick glitt über die zerstörten Überreste der Steinmauer, die wenige Kampfmomente zuvor ihren Weg blockiert hatte. Am Ende des Ganges, der davon verdeckt gewesen war, leuchtete ein kleines Licht wie ein Schimmer der Hoffnung.

„Es ist nur... bei so einem – so einem Ding fällt es mir leicht, einen Pfeil darauf zu schießen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich es auch bei einem lebenden Ziel..." Ihre Stimme versagte.

„Daran hab ich nicht gedacht", sagte Orion nachdenklich. „Aber, wenn dich ein lebendes Ding angreift, dann wirst du nicht lange darüber nachdenken können, ob du es verletzen willst oder nicht. Ich hoffe, du schießt dann einfach deinen Pfeil ab, bevor es dich töten kann." Er versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln, schaffte es aber nicht, dass Aigis weniger bedrückt aussah.

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